Bücher-Weihnacht

Vier Bücher von Salzburgern, die Sie gelesen haben müssen. Mit Geschichten über Menschen, die nach Hoffnung suchen, den Neuanfang wagen oder sich gleich mit dem ganzen System anlegen.

Wolf Haas: »Eigentum«
Wolf Haas, den viele als den Autor der berühmten Brenner-Romane kennen, die mit Josef Hader in der Hauptrolle auch erfolgreich verfilmt wurden, hat ein sehr persönliches Buch über seine Mutter geschrieben.
Zwei Quadratmeter
»Eigentum« heißt es, weil es den Lebenskampf seiner Mutter, das verzweifelte Streben nach einer eigenen Wohnung, zum Kernthema macht. Ein Streben, das nie von Erfolg gekrönt war, denn zuerst war es der Krieg, dann die Inflation, die ihr einen Strich durch die Rechnung machten. »Eigentum« ist mal liebevoll, mal grimmig und makaber, etwa wenn Haas schreibt, dass sie erst jetzt, am Ende ihres Lebens, in ihrem Grab zwei Quadratmeter zugeteilt bekommen hat, aber immer ist es original Haas, der uns mit unangenehmen familiären Wahrheiten wie der folgenden zugleich zum Schmunzeln und zum Nachdenken bringt: »Jung ist man, solange man seine Verwandtschaft alle paar Jahre bei einer Hochzeit trifft, alt ist man, wenn man sich nur noch bei Begräbnissen sieht. Dazwischen ist die Phase, wo alle mit allen zerstritten oder zumindest in Daseinskämpfen aufgerieben sind, weshalb man sich gar nicht begegnet. Kein Problem, man sieht sich ja ohnehin spätestens beim Begräbnis.«

Markus Deisenberger: »Winter in Wien«
… ist ein Salzburger, der als Jurist und Journalist in Salzburg und Wien lebt und arbeitet. »Winter in Wien« ist sein zweites Buch, sein erstes, »Was in Erinnerung bleibt«, ist 2019 erschienen.
Vision Salzburg: Markus, der Titel deines Buches verleitet zur Annahme, dass dein Krimi im Winter in Wien spielt …
Markus Deisenberger: Nicht ganz… der Protagonist meines Buches heißt Major Winter. Er ermittelt im Fall eines kenianischen Marathon-Läufers, der vom Dach eines Wiener Hochhauses stürzt.
VS: Oder gestürzt wird…?
MD: Obwohl alles auf Suizid hindeutet, gibt es einen Zeugen, der einen zweiten Mann auf dem Dach gesehen haben will … Also beginnt Winter zu ermitteln.
VS: Der Major ist – wie viele andere berühmte Kriminalkommissare von Brenner über Brunetti bis Wallander – ein eher »spezieller« Charakter.
MD: Tja, Major Winter ist vom Leben geplagt: Er ist geschieden und trinkt zu viel. Er ist ein verhinderter Musiker, der Geräuschkulissen auf Tonband und Schallplatten sammelt. Er hasst Anglizismen und findet das Wiener Riesenrad langweilig. Zu seinen Freunden zählen Zuhälter und Prostituierte. Und bei seinen Ermittlungen begibt er sich in ein gefährliches Geflecht aus geld- und leistungsgierigen Funktionären, Anwälten und Konzernen, für die ein Menschenleben nichts wert ist.
VS: Kommt der Kommissar am Ende gegen die Übermacht des Geldes an?
MD: So viel sei verraten: Die Geschichte endet in Afrika, mit der Tonbandaufnahme eines Nashorns und einem glücklichen Winter.

Matthias Gruber: »Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art«
… ist in Wien geboren und in Salzburg aufgewachsen, wo er mit seiner Familie lebt. »Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art« ist der erste Roman des Theaterwissenschaftlers, der als Rezeptionist, im Onlinemarketing und in einer Notschlafstelle gearbeitet hat und Mitbegründer der Salzburger Stadt- Magazine fraeuleinflora.at und QWANT ist.
Vision Salzburg: Matthias, deine Protagonistin, die 14-jährige Arielle, hat kaum Haare, deformierte Zähne und sie kann nicht schwitzen. Das Mädchen begleitet ihren Vater auf dessen Jagd nach vergessenem Kryptogeld auf Festplatten in Wohnungen von Verstorbenen und auf dem Müllplatz. Wie bist auf dieses Szenario gekommen?
Matthias Gruber: Meine Idee war, eine Geschichte über Menschen zu schreiben, die in einer Welt, die in Trümmern liegt, nach Hoffnung suchen. Und dann war da die reale Begegnung mit dem Krankheitsbild der Ektodermalen Dysplasie.
VS: Arielle findet ein Handy mit den Fotos der hübschen Pauline. Diese lädt sie ins Internet hoch und ihr fliegen die Likes zu! Aber eigentlich nicht ihr… Ist das Arielle bewusst?
MG: Im Grunde genommen ist die 14-Jährige die einzige Figur im Roman, die ihre Lage in gewisser Weise einordnen kann. Alle anderen Figuren versuchen, ihr Leben in den Griff zu bekommen, scheitern dabei, ohne zu begreifen warum. Und natürlich nimmt Arielles Identitätsdiebstahl im Internet kein gutes Ende.
VS: Ist Arielle die Erste einer neuen Art?
MG: Arielle wird ständig vermittelt, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Aber als sie im Museum einen Ichthyostega sieht – also ein Tier am Übergang vom Wasserzum Landlebewesen – verändert sich etwas in diesem Bild: Sie ist nicht fehlerhaft, sondern die Erste ihrer Art! Arielle ist wie eine umgekehrte Meerjungfrau, die vom Hitzig-Trockenen wieder ins Kühlend-Nasse zurückkehrt.

Birgit Birnbacher: »Wovon wir leben«
Bachmannpreisträgerin Birgit Birnbacher hat ein Buch über Resilienz geschrieben. Julia, die Hauptfigur ihres Romans, wird durch das Schicksal zum Neuanfang gezwungen.
Ein Fehler katapultiert Julia aus ihrem Beruf als Pflegekraft. Sie versucht den Neuanfang. Aber auch ihre Mutter und ein Städter, den sie an ihrem Geburtsort am Lande kennenlernt, tun das. Was hat Sie zu diesem Buch über Neuanfänge inspiriert?
Julia arbeitet in der Pflege. Sie ist Ende dreißig, als ihr sprichwörtlich die Luft ausgeht. Sie macht einen Fehler. Sie wird krank. Solche Dinge passieren täglich, sie können uns allen rasch passieren. Julia verliert ihre Dienstwohnung, muss erstmal zurück zum Vater ins Elternhaus, wo sie sich eigentlich erholen will. Es kommt natürlich anders. Der Vater braucht Julias Zuwendung, bald vielleicht schon ihre Pflege. Im Dorf lernt Julia den Städter kennen. Auch er muss sich beruflich verändern, nur ist bei ihm alles ganz anders. Nicht nur, aber eben auch, weil er ein Mann ist. Natürlich kann man behaupten, das ist klischeehaft. Aber da, wo ich herkomme, ist es in vielen Fällen noch die Realität. In unserer Gesellschaft ist es nun einmal so, dass es auch viele unbezahlte Pflichten oder Zugkräfte gibt, die alles andere als fair verteilt sind.
Julias Geburtsort ist ein Ort, an dem man das Wort »Student« nur abschätzig verwendet, das beliebteste Schimpfwort »Schwuler« ist, und die Gesetze des Zusammenlebens im Wirtshaus unter Männern ausverhandelt werden. Was hat Sie zu diesem Schauplatz inspiriert?
Irgendwann habe ich verstanden, dass ich »ich« sagen und den Ort dorthin verlegen muss, wo ich herkomme. Manchmal muss man den Finger in die Wunde legen, damit ein Text sich entfalten kann.
Buchtipps von der RUPERTUSBUCHHANDLUNG

Jana Revedin: Der Frühling ist in den Bäumen
Renina gründet Anfang der 1950er-Jahre die erste Frauenzeitschrift Deutschlands. In Zeiten beängstigender politischer Restauration will sie sich mit ihrer »Lady« für ein neues Rollenverständnis der Frau einsetzen.

Uta Degner: Ingeborg Bachmann. Spiegelung eines Lebens
Der Bildband gibt einen tiefen Einblick in Leben und Werk der großen Dichterin. Selten gezeigte Fotografien aus dem Familienbesitz und entlegenen Quellen zeichnen Ingeborg Bachmanns Lebensweg nach.

Katharina Seiser: Österreich express. Schnelle Klassiker & Lieblingsrezepte
Vertraute Gerichte, die in etwa einer halben Stunde auf dem Tisch stehen. Von Bröselkarfiol über Paprikahendl mit Nockerln bis zum Schneeomelett. So schmeckt Österreich!
Dreifaltigkeitsgasse 12
Tel. 0662 87 87 33
www.rupertusbuch.at
TEXT TANJA PETRITSCH-ZOPF, MARKUS DEISENBERGER
FOTOS PETER-ANDREAS HASSIEPEN, ANDREAS KOLARIK, MIRIAM KREISEDER, SIEGRID CAIN
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