Erzbischof Franz Lackner ist keiner, der um den heißen Brei herumredet. Ob Flüchtlings-Krise oder Klima-Notstand, er bezieht gerne Stellung. Was ihm in der Vergangenheit nicht nur Freunde eingebracht hat, macht ihn zu einem spannenden Gesprächspartner.

Vision.Salzburg erzählte der weltoffene Geistliche, wie er zu Gott fand und wieso er die Philosophie als Ausgleich braucht.

Die Amazonien-Synode ist vorüber, und alle reden über den Zölibat…

Ja und viele ärgern sich darüber, dass nur über den Zölibat und nicht das eigentliche Thema der Synode gesprochen wird.

Dann lassen Sie und über das eigentliche Thema der Synode reden.

Unbedingt. Schauen Sie: Das Amazonas-Gebiet ist die Lunge der Welt und das größte Süßwasserreservoir. Der Regenwald ist mehr als sieben Millionen Quadratkilometer groß. Das Dilemma hat ein Bischof während der Synode auf den Punkt gebracht, als er sagte: „Ihr Europäer wollt, dass das nicht gerodet wird. Gleichzeitig seid ihr aber der größte Abnehmer der Sojabohnen, die dort angebaut werden, damit ihr euren Fleischhunger stillen könnt.“ Mit dieser Tatsache muss man sich auseinandersetzen.

Im Fachmagazin Bio-Science warnten neulich 11.258 Wissenschaftler vor einem Klima-Notfall. Sie hätten die moralische Verpflichtung, die Menschheit zu warnen, hieß es.

Welche moralische Verpflichtung hat die Kirche in puncto Klimawandel gegenüber der Menschheit?

Erst einmal muss sie in ihren eigenen Reihen alles Menschenmögliche zu tun, um so wenig CO2 wie möglich freizusetzen. Da merkt man schnell, dass wir in einem Kreislauf sind, aus dem es gar nicht so leicht ist auszubrechen – vieles geht nicht von heute auf morgen. Aber weniger Fleisch essen, mehr auf die regionalen Produkte zurückgreifen etc. können wir alle. Wir haben eine Partner-Diözese in Bolivien, die an den Regenwald angrenzt. Die gilt es auch in ihrem Bemühen unterstützen, den Regenwald zu erhalten. Unsere Erzdiözese hier in Salzburg wollen wir ebenfalls nachhaltiger und umweltverträglicher gestalten. Es gibt klare Bestrebungen, ganz von fossilen Brennstoffen wegzukommen. Wichtig ist auch zu begreifen, dass es aus energiepolitischer Sicht keine Inseln gibt. Alles hängt mit allem zusammen. Wir müssen uns viele Fragen stellen: Was ist es uns wert, dass wir CO2 in die Luft setzen? Was sind wir bereit, beizutragen? Welche Opfer sind wir bereit zu erbringen? Und wir brauchen eine umfassende Ökologie des Lebens. Wir können mit dem Leben nicht so umgehen als ließe sich ständig aus dem Vollen schöpfen.

Und wie beurteilen Sie den Vorstoß in der Synode, auch Verheiratete zum Priesteramt zuzulassen?

Um auch in den entlegensten Gebieten eine gewisse priesterliche Präsenz zu ermöglichen, haben die Synodenväter – wohlgemerkt für diese Gegend und diese Situation – dem Papst eine lokal-regionale Lösung vorgeschlagen.

Heißt das, in diesen Regionen wird man über Zulassung auch Verheirateter zum Priesteramt nachdenken, aber in Europa, wo der Priestermangel vielleicht auch Thema, aber kein so gravierendes ist, nicht?

Ja, und man sollte die Zuwendung der Kirche zu diesen Völkern nicht für unsere Zwecke instrumentalisieren. Der Priestermangel hier und dort sind verschiedenen Welten. Heute ist bei uns in Österreich ein Priester für weniger Gläubige zuständig als 1990. Wir verlieren sehr viele Menschen. Es gibt weniger Nachwuchs und weniger Katholiken. In Wien liegt der Katholikenanteil meines Wissens nach schon unter 30%. In Österreich haben wir 3.000 Pfarren und 5,6 Millionen Mitglieder. Mit Amazonien ist das nicht zu vergleichen.

Sind Sie religiös aufgewachsen?

Ich komme aus einem religiösen Haus, habe Religion als Kind sehr positiv erlebt.

Glaube war für mich nie mit Drohung oder Angst verknüpft. Meine Eltern sprachen wenig über den Glauben, sie lebten ihn. Man hat gespürt, dass er ein tragendes Element unserer kleinen Landwirtschaft war.

Ernsthaft zum Glauben fanden Sie aber erst beim Bundesheer während eines UNO-Einsatzes in Zypern. Wie kam das?

Ich habe Elektriker gelernt. In dieser Zeit hörte der Glaube auf. Ich entschied mich nie bewusst dagegen, aber es blieb davon unterm Strich nicht viel übrig. Ich lebte halt so dahin, wie man sagt. Zugleich aber blieb ich ein Denker, habe mich für vieles interessiert und gemerkt: Da fehlt etwas Wesentliches; da fehlt die Mitte. Ich habe trotzdem noch meine Lehre absolviert, war danach Staplerfahrer in einer Getränkefirma und Betonierer bei der UNO-City. Als ich dann arbeitslos wurde, ging ich zum Bundesheer und blieb, weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte. Als „freiwillig verlängerter Grundwehrdiener“ verdiente man damals 3.500 Schilling – ein dürftiges Dasein. Wie soll man sich da eine Wohnung und ein Auto leisten? Dann gab es da plötzlich die Möglichkeit, in den UNO-Einsatz nach Zypern zu gehen. Und in Zypern hatte ich plötzlich, was ich zuhause nicht hatte: Zeit. Und so begann ich die Bibel zu lesen. Gleich zu Beginn des Neuen Testaments, im Matthäus-Evangelium stieß ich bei 11,28 auf den Satz: „Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ Und obwohl ich mich gar nicht mühselig und beladen fühlte – ich war ja am Meer und verdiente für damalige Verhältnisse viel Geld – hat mich dieser Satz berührt. Für mich war es, als wäre Gott in diesem Moment an mir vorübergegangen.

Wie weit war der Weg von dem Moment, als Sie diese Bibelstelle so berührte, bis zum Entschluss, Ihr Leben Gott zu weihen?

Sehr weit. Nach sechs Monaten Zypern kam ich nach Hause und marschierte dort mit einer heilsamen Unruhe herum: Ich stellte mir die alles entscheidenden Fragen: Was ist der Sinn des Lebens. Wo komm ich her – wo gehe ich hin; Was will ich vom Leben? Nun ist die Bibel aber kein Kochbuch, und das Leben läuft nicht nach Rezept. Das wäre ja auch schrecklich. Die Bibel erlebte und erlebe ich wie einen interessanten Gesprächspartner. Ein Gegenüber, mit dem man gut reden, auf das man sich einlassen kann, der auch herausfordert.

Wie ging es weiter?

Ich pilgerte nach Israel ins Heilige Land, von einer heiligen Stätte zur nächsten,

immer mit der Frage im Herzen: Was soll ich tun? Ich hatte große Sehnsucht danach Priester zu werden. Aber auf die Frage, ob das der richtige Weg sei, erhielt ich keine Antwort.

Als ich dann beim Bundesheer danach gefragt wurde, ob ich bleibe, sagte ich spontan: Nein. Ohne zu wissen, was ich stattdessen tun sollte. Schließlich habe ich einen Priester im Priesterseminar gefragt. „Es spricht so vieles dafür, aber vieles auch dagegen“, sagte ich zu ihm. Er riet mir weder ab, noch bestärkte er mich. Aber am Ende unserer Unterhaltung sagte er: „Im Vertrauen auf Gott, der das Anfangen schenkt, der aber auch die Vollendung schenken wird, kann man es wagen.“ Auf diesen Satz hin bin ich gegangen, wurde Priester und habe es in meinem ganzen Leben auch nie bereut. Trotz Krisen.

Die philosophischen Fragen haben Sie Zeit Ihres Lebens weiterbeschäftigt. Als Weihbischof haben Sie selbst noch gelehrt. Was ist es, das Sie an der Philosophie so fasziniert?

Wenn die Bibel das Wort Gottes ist, ist die Philosophie das Wort des Menschen. Es geht um die zutiefst menschlichen Fragen: Was will ich wirklich und was ist wirklich? Was ist das Sein? Worauf kommt es an? Es geht um die Spannung des Lebens zwischen Einheit und Vielheit. Das Leben ist ein Balanceakt – die hohe Kunst ist es, nicht einseitig zu werden, nicht umzufallen und auch nicht in Sturheit zu verfallen. Philosophie ist eine Ausgleichsbewegung.

Während der so genannten „Flüchtlingskrise“ haben Sie die Flüchtlinge mehrfach als Chance bezeichnet. Das hat ihnen nicht nur positives Feedback gebracht. Bereuen Sie das heute?

Nein. Ich wurde oft kritisiert, aber ich hab‘ mich dem damals gerne ausgesetzt.

Bei einer Katastrophe – und nichts Anderes ist es, wenn achtzehn Menschen in einem Kühlwagen ersticken und andere schreckliche Dinge passieren – muss der erste Akt immer sein, Türen und Herzen aufzumachen. Und dann muss man aber auch schauen, wie man wieder möglichst schnell zur Normalität zurückkehrt.

Sia haben damals gesagt, die Kirche müsse sich in solch einer Situation als Kontrast zum gesellschaftlichen Mainstream positionieren. Das fand ich bemerkenswert. Heißt das, der Mainstream ist schon so fremdenfeindlich, dass die Kirche gegensteuern muss?

Nein, aber die Masse verliert oft den Blick für das Konkrete, den Einzelnen. Man muss das einzelne Gesicht wahrnehmen, was viele Gläubige, aber auch Nichtgläubige ja auch getan haben, indem sie halfen. Da haben sich Menschen auf Flüchtlinge eingelassen, ihre Häuser geöffnet, Geld zur Verfügung gestellt und sind in eine persönliche Beziehung getreten. Die Kirche muss in gewissen Momenten Farbe bekennen. Und ihr steht es gut an, auf der Seite der Schwachen zu stehen.

Um noch einmal auf Amazonien zurückzukommen: Dass die Kirche sich auf die Seite der Schwachen stellt und gegen ihre Ausbeutung Stellung bezieht, war nicht immer so. Früher war die Kirche durchaus mit kolonialen Interessen verquickt.

Da haben Sie Recht. Aber die Kirche kann lernen, leider Gottes auch aus Fehlern.

Sie waren auf dem Jakobsweg. Was haben Sie von dieser sehr persönlichen Reise mit nach Hause genommen?

Dass der Mensch Zeiten braucht, in denen sich das Gläubigsein – und damit untrennbar verbunden das Menschsein – auf ganz wenige Sachen konzentriert. Aufstehen, Essen, Losgehen. Erst einmal nicht denken, was sein wird und wo sich die nächste Unterkunft befindet.

Was ich mir mitgenommen habe: Lerne einen Tag ohne Handy oder Fernsehen zu verbringen. Nimm dich zurück. Lass dich von deinem Körper und deiner Seele überraschen.

Was bedeutet Weihnachten für Sie?

Weihnachten ist die innige Berührung mit dem Göttlichen. Gott ist Mensch geworden. Sollten wir nicht vielleicht darüber nachdenken, was es auch für jeden einzelnen von uns bedeutet, Mensch zu sein, wenn Gott Mensch geworden ist?

Apropos göttliche Berührung: Sie sind bekennender Fußballfan und als solcher Sturm Graz-Fan. Wird Sturm kommendes Jahr international spielen?

(lacht) Sicher. Wie können Sie so was überhaupt fragen?

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Franz Lackner (geb. am 14. Juli 1956 in Feldbach) stammt aus dem dem südoststeirischen St. Anna am Aigen. Er gilt als Spätberufener. Nach der Pflichtschule und Elektrikerlehre arbeitete er zunächst als Staplerfahrer und Betonierer. Danach war er (u.a. gemeinsam mit Günter Timischl von STS) als UNO-Soldat in Zypern. „Wir schreiben uns heute noch hin und wieder.“ Als er in Nazareth in inniglichem Gebet Gott befragte, ob er Priester werden solle, schmiss ihn ein Franziskaner aus der Kirche, weil er kurze Hosen trug. 1984 trat er in den Franziskanerorden ein. 1991 wurde er zum Priester geweiht. Nach dem Studium der Philosophie unterrichtete er Metaphysik an der päpstlichen Universität in Rom und Philosophie an der theologischen Hochschule Heiligenkreuz. Franz Lackner ist der 91. Bischof von Salzburg und der 79. Erzbischof.

FOTOS: ANDREAS KOLARIK / TEXT: MARKUS DEISENBERGER