Théo Ceccaldi einen Teufelsgeiger zu nennen ist wahrlich keine Übertreibung. Wer ihn jemals live gesehen hat, weiß um die explosive Kraft seiner Auftritte. In seinem jüngsten Projekt »Django« nimmt er sich der Musik des großen Django Reinhardt an. Doch Ceccaldi wäre nicht Ceccaldi, würde er die Stücke des Meisters einfach originalgetreu nachspielen. Das wäre ihm zu wenig. Sein »Django« ist ein wilder Hybrid aus Manouche- Swing, Free Jazz, Kammermusik und Gypsy Freak Out, den er bei Jazz & the City genau so auf die Bühne bringen wird. Im Interview spricht er über Tanz und Tiefe, über Melodie und Agonie in Django Reinhardts Musik.

Wenn Sie zurückdenken: Können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit der Musik von Django Reinhardt erinnern?

Das war in meiner Kindheit, gemeinsam mit meinen Eltern. Wir hörten viel unterschiedliche Musik zuhause: Kassik, Jazz und Folk. Manchmal lief Django. Als ich später Jazz studierte, stieß ich auf die Stücke, die Django gemeinsam mit Stéphane Grapelli spielte. Das war dann eine tiefere Begegnung.

War das eher einschüchternd, weil die beiden es stets schafften, sehr komplexe Musik so leichtfüßig und beseelt klingen zu lassen, oder war es Liebe auf den ersten Blick?

Djangos Musik hat mich immer inspiriert, weil ich ihn als avantgardistischen Komponisten begriffen habe. Zu seiner Zeit hat er immer nach neuen Möglichkeiten gesucht zu komponieren. Nach neuen Farben. Er war an Bepop interessiert, ging nach Amerika, probierte sich an der elektrischen Gitarre. Er war immer auf der Suche nach neuen Wegen. Das ist genau das, was ich auch versuche. Seine Stücke sind wie Fotografien, die das abbilden, wonach er suchte. Viele spielen seine Musik, als wäre sie in dieser Zeit eingefroren und dadurch zu einem ganz bestimmten Stil geworden. Ich glaube aber, dass seine Musik immer in Bewegung war. Genau das will ich auch mit meiner Musik: Immer fragen, neue Wege suchen, verschiedene Stile miteinander mischen.

Das heißt, Sie haben sich ganz bewusst gegen das bloße Nachspielen, das Covern seiner Songs, wie es viele praktizieren, entschieden?

Ja. Wir wollten Djangos Kompositionsgenie was Melodie und manchmal auch Agonie betrifft feiern, aber seine Musik gleichzeitig in eine andere Umgebung bringen, indem wir sie mit der Musik, mit der wir uns verbunden fühlen, verschmelzen, mit unserer Kultur, unserer Geschichte und unserer Sprache. Wir (das Trio, bestehend aus Théo, Bruder Valentin am Cello und Guillaume Aknine an der Gitarre, Anm.) wuchsen in sehr unterschiedlichen musikalischen Umgebungen auf, wurden durch Klassik, Rock und zeitgenössische Musik geprägt und haben uns oft gefragt, was wir mit Jazz machen sollen. Unserer Auffassung nach macht Jazz nur dann Sinn, wenn wir ihn mit unserer jeweiligen Herkunft, unseren Einflüssen verknüpfen.

Nur zwei der acht Tracks auf dem Album sind klassische Cover-Versionen von Django-Reinhardt-Stücken. Wenn man etwa »Balancelle et chèvrefeuille « — Ihre Version von »Honeysuckle Rose« — anhört, fällt auf, dass Sie viel Persönliches dazutun, das Original bleibt aber erkennbar. Es wirkt, als hätten Sie das Material als Steinbruch genutzt, um den herausgeschlagenen Stein dann zu etwas Eigenem zu modellieren.

Ja, wir wollten einen anderen Zugang. Den letzten Track etwa, »Manoir de mes rêves« wollten wir fast wie das Original spielen, aber bei der Sologitarre etwas Schräges anfügen, eine kleine Neuinterpretation. Manchmal aber gingen wir in eine ganz andere Richtung. Am extremsten vielleicht in »Six pouces sous mer«. Da habe ich nur fünf Noten der Originalmelodie verwendet, die mich zu etwas gänzlich anderem, zu einer Neukomposition inspirierte. Manchmal hat mich auch sein Leben bewegt, in »Brûle roulotte« etwa ist es der Unfall, bei dem er zwei seiner Finger verlor. Django war also auf ganz unterschiedliche Arten Thema, um seine Musik, aber auch unsere eigene zu spielen.

Warum eigentlich Django und nicht Stéphane? Dem Geiger Grapelli, der viele geniale Stücke gemeinsam mit Django einspielte, und dem im Vergleich viel zu wenig Bedeutung beigemessen wird, müssten Sie sich instrumental doch viel verbundener fühlen als dem Gitarristen Reinhardt.

Wenn ich mich auf Grapelli versteift hätte, wäre das zu vorhersehbar gewesen: Ein Geiger spielt ein Tribute für einen anderen Geiger. Es ging eher darum, den Komponisten und den Manouche-Stil zu zelebrieren, als die Virtuosität des Violinisten. Django war der Bandleader.

Wenn Sie Django mit Ihrem Projekt davor, dem gemeinsam mit dem Pianisten Roberto Negro eingespielten Album »Montevago« vergleichen, auf dem Sie Folklore mit den minimalistischen Strukturen elektronischer Musik kurzschlossen: Sehen sie Parallelen zu Django? In beiden Fällen entstand zwar etwas Neues, da die Folklore, dort Djangos Musik, blieben aber erkennbar.

Das kann man schon vergleichen. Ich liebe es, ein Thema wie Folk oder Django, etwas, das mich inspiriert, zu nehmen und es im Zuge einer Metamorphose in eine völlig andere Richtung zu bringen. Einen Mix zwischen Stilen, die ich entweder studierte oder einfach nur mag, herzustellen – das liegt in meiner DNA als Musiker.

Viele Stücke von Django sind Tanzmusik. In Ihren Interpretationen aber gibt es viele sehr stille Momente. War dieses Innehalten, diese Einkehr, Absicht oder passiert es eher zufällig?

Wir wollten schon zeigen, dass Django nicht nur Tanz, sondern auch Tiefe und Stille in sich und seiner Musik trug. In diesem Trio mag ich auch den Klang, wenn wir gemeinsam intim werden, besonders gern.

Jedes String-Trio stößt irgendwann auf Reinhardts Musik. Es scheint also fast logisch, sich früher oder später mit dieser Musik auseinanderzusetzen. War es so auch bei euch?

Ja und Nein. Als wir das Trio gründeten, war der Hintergedanke, in diesem Trio all unsere Musik zu spielen. Das Trio sollte Vehikel für all das sein, was uns interessierte. Nach den ersten beiden Alben haben wir dann bei den Proben herumgealbert. Ach, lass uns doch mal was von Django spielen. Und so haben wir immer wieder Django gespielt. »Just for fun«. Aber eines Tages war es dann plötzlich so weit. Wir haben uns gefragt: »Warum eigentlich nicht? Warum nicht ein Tribute? « Ja, beschlossen wir. Aber wenn, dann anders als man es erwarten würde.

Es gibt diese legendäre Geschichte von Django: Als er mit dem Duke- Ellington-Orchester spielte fragte ihn der Duke, in welchem »Key«, in welcher »Tonart« also er denn das nächste Stück spielen wolle. Darauf antwortete Reinhardt, der nur gebrochen Englisch sprach: »Key? Es gibt keinen Schlüssel. Legt einfach los!« Wie viel Kalkulation, wie viel Improvisation ist Ihr »Django«?

Es ist sehr strukturiert. Die Architektur ist uns allen sehr klar. Die verändert sich auch nicht von Mal zu Mal. Natürlich gibt es dann aber Spots für Solos, und es kann schon mal passieren, dass wir uns verlieren und die Trennung zwischen Komposition und Improvisation verwischen. So war es immer in diesem Trio, und so ist es auch in diesem Programm: Hin und wieder vergessen wir uns.

Würden Sie zustimmen, wenn ich behaupte, der moderne europäische Jazz ist weniger verkopft als gemeinhin angenommen, weil er nicht im Studierzimmer entstand, sondern in den Wohnwägen der Pariser Banlieus?

Unbedingt, ja!

Haben Sie eine Lieblings-Coverversion? Egal, aus welche Zeit und in welchem Genre.

Da fällt mir sofort Saxophonist Emile Parisienne ein. Er hat auch mit Roberto Negro zusammengearbeitet. Gemeinsam haben sie Györgi Ligeti bearbeitet und dabei das ursprüngliche Stück völlig transformiert. Es ist brillant und sehr persönlich. Das lässt mich jedes Mal, wenn ich es höre, staunen.

Nach all dem Corona-Wahnsinn und den damit verbundenen Auftritts- Stopps: Wie fühlt es sich an, wieder auf Festivals zu spielen?

Ich habe gerade das erste Konzert nach langer Zeit gespielt. Das war sehr erfrischend. Auf Salzburg freue ich mich ganz besonders, weil es ein sehr einzigartiges Festival ist. Ich werde drei, vier Tage bleiben und viele Musiker zu unterschiedlichen Sessions treffen. Wir werden Django spielen, es werden aber auch viele andere interessante und ungeplante Dinge passieren. Gleichgesinnte zu treffen und gemeinsame Zeit zu verbringen wird uns allen ein wenig unserer verlorenen Freiheit zurückgeben. Ich hoffe, dass alles so wie geplant stattfinden kann und man uns sehen und hören kann. Unsere Vision zu teilen ist uns sehr wichtig.

Vielen Dank für das Gespräch.

Théo Ceccaldi (* 5. Mai 1986 in Pithiviers) ist ein französischer Jazzmusiker (Geige, Bratsche und Komposition). Ceccaldi stammt aus einer Musikerfamilie. Sein Vater war Lehrer an der örtlichen Musikschule und Geiger, der vornehmlich traditionelle Folklore spielte. Ebenso wie sein jüngerer Bruder Valentin lernte er erst Schlagzeug, bevor er sich für Streichinstrumente entschied. 2010 gründete er ein eigenes Trio (mit seinem Bruder Valentin am Cello und Guillaume Aknine an der Gitarre). »Django« ist ihr drittes gemeinsames Album.

TEXT: Markus Deisenberger / FOTOS: SYLVIAN GRIPOIX