Hier und Jetzt

Im Moment. Hier und Jetzt.
CAFÉ DRECHSLER, das sind Schlagzeug, Bass und Saxophon, ein ganz gewöhnliches Jazz-Trio also. Ungewöhnlich ist, dass sie in dieser Besetzung seit nun mehr als zwanzig Jahren jede Halle zum Kochen, jedes Publikum zum Tanzen bringen. Klarinettist, Saxophonist und Komponist Ulrich Drechsler über sein neues Album, die Gemeinsamkeiten von Techno und Jazz, und warum er manchmal spielte, bis ihm das Blut aus dem Mund tropfte.
»Impulse«, die zweite Nummer auf Deinem aktuellen Album »Caramel« klingt, als hätte sie Ennio Morricone für die dramatische Schluss-Sequenz eines Filmes ersonnen. (lacht)
Das schmeichelt mir. In den letzten Jahren hat sich herauskristallisiert, dass alle Musik, die ich schreibe, unbewusst stark in Richtung imaginäre Filmmusik geht. Ich gehe viel ins Kino und höre gerne Filmmusik. Und mein Ansatz beim Musikmachen ist immer: Ich will die Menschen gut unterhal- ten und emotional berühren. Die Musik muss deshalb leicht verständlich, aber qualitativ hochwertig sein. Wenn man Gefühle in Menschen auslösen will, geht das am besten, indem man ihnen einfache Geschichten erzählt. Nun bin ich aber kein Sänger, sondern spiele Klarinette und Saxophon – ein Handicap, das ich über Klangwelten, Atmosphären und über Besetzungen, die einzigartig sind und aus dem Rahmen fallen, auszugleichen versuche. Jedes Stück soll im Kopf des Hörers Traumlandschaften entstehen lassen.
Du bist jemand, der sein musikalisches Vokabular stän- dig erweitert hat. Die Kombination mit der Koloratur- Sopranistin Özlem Bulut und der Slam-Poetin Yasmo ist aber selbst für Dich ungewöhnlich. Wie kam es dazu?
Ich bin vor einigen Jahren in das Genre Neoklassizismus reingekippt, deren wichtigste Vertreter Max Richter, Olafur Arnalds und der schon verstorbene Johan Johannson sind. Das Tolle an denen ist, dass sie sich aus allen Genres be- dienen und daraus ihr Ding machen. An Max Richters Stück »Sleep«, das den Schlafzyklus eines Menschen in einem achtstündigen Stück vertont, hat mich beeindruckt, wie man mit so wenig – er spielt Klavier und Orgel, dazu ein paar Strei- cher, Elektronik und eine Sopranistin – ein so wunderbares Klangbild erschaffen kann. Dann lief mir Özlem Bulut über den Weg. Sie ist klassisch ausgebildet, macht aber auch sehr viel Musik aus ihrem kurdisch-türkischen Kulturbereich. Das ergibt eine völlig eigenständige Klangfarbe. Yasmin Hafedh, genannt Yasmo, hab ich noch dazugenommen, weil ich einen Teil von der Grundidee in Worte gefasst haben wollte. Ich habe ihr erzählt, wofür die einzelnen Stücke stehen. Dann hat sie geschrieben. Dabei hatte sie komplette Freiheit.
Hört man das Album, bekommt man das Gefühl, da spielt einer, der schon viel erlebt hat und uns an dieser Intensität auch teilhaben lassen will.
Je älter ich werde, desto bewusster werde ich darin, was ich spielen, wie ich es spielen und was ich damit aussagen will. Ich ertappe mich immer öfter dabei, dass ich mich auf der Bühne frage: Muss ich jetzt überhaupt noch was spielen? Braucht es das überhaupt? Das Bewusstsein dafür, wie viel der Moment braucht, damit die Balance zwischen Künstler, Raum und Publikum aufrecht bleibt, ist größer geworden. Speziell im Jazz, aber auch in der Klassik werden die Leute mit viel zu viel Information konfrontiert und überfordert. Zu oft geht es nur noch darum, das Instrument ans Limit zu bringen. Nach dem Konzert hat man dann das Gefühl, dass es viel war und fragt sich: Hat mich das jetzt unterhalten oder gestresst? Wenn ich heute Energie in etwas investiere, will ich auch den optimalen Benefit für mich. Ich geh ́ nicht mehr auf jede Party. Ich suche mir die guten heraus.
Auf eine Party allerdings kehrst Du seit zwanzig Jahren regelmäßig zurück: Jene, die das Café Drechsler veran- staltet. Warum?
Dieser Band habe ich viel zu verdanken. Dadurch wurde ich gemeinsam mit Oliver und Alex einigermaßen bekannt.
Clarissa Stadler sagte im Kulturmontag, Du seist »welt- berühmt« geworden.
(lacht) Okay, nehm ich auch. Das Tolle daran ist: Alles, was ich jetzt mache, ist sehr konzeptionell. Das heißt: Viel Vorarbeit, klare Strukturen. Das Café aber war und ist eine Hier-und- Jetzt-Nummer. Wir improvisieren. Die Musik entsteht abhän- gig davon, wie das Publikum drauf ist, wie wir darauf sind, wie das Wetter ist, wie wir geschlafen haben und was wir gegessen haben. Im Moment. Die Grundidee ist: Wir wol- len die Leute zum Tanzen bringen. Das ist eine unglaubliche Herausforderung, weil wenig Zeit ist zu überlegen, was und wie man es spielen muss, um genau dieses Ziel zu erreichen. Wenn ich jetzt anfangen würde, herumzusolieren, wie das Jazz-Saxophonisten gern mal tun, würde garantiert niemand zu tanzen anfangen. Es geht darum, genau zuhören was die anderen beiden machen, und mich zu fragen, was ich dazu tun kann, damit dieses Rhythmus-Ding aufrecht bleibt. Da hab’ ich viel gelernt und lerne nach wie vor viel.
Die übliche Hierarchie zwischen Soloinstrument und Be- gleitinstrument aufzulösen, wie leicht oder schwer ist das?
Das ist ein irrsinniger Balance-Akt. In dem Moment, in dem sich einer von uns ein bisschen zu sehr in den Vordergrund schiebt oder nachlässt, beginnt das ganze fragil zu werden und läuft Gefahr, in sich zusammenzubrechen. Ich höre viel Techno. Was mich daran so fasziniert, ist diese unvorstellbare Energie, die da stundenlang durch den Dancefloor ge- pumpt wird. Genau das ist für mich die Grundidee von Café Drechsler: Das Energielevel aufrecht erhalten. Wenn wir das gut machen geht es direkt aufs Publikum über. Da geht es weniger darum was wir spielen, sondern dass es gespürt wird. Dann kann man auch wie beim Techno in Trance fallen.
War das das Geheimnis des Erfolges? Dass zu Zeiten der Wiener Elektronik plötzlich ein akustisches Jazz-Trio ganz vorne mitmischte war doch recht ungewöhnlich.
Ja, das war ein großer Teil. Da haben wir offenbar eine Markt- lücke entdeckt. Das Publikum, das Ende der 1990er und An- fang 2000er in die Clubs ging, kannte tanzbare Musik nur im elektronischen Format. Und dann standen da plötzlich drei Hanseln mit Bass, Schlagzeug und Sax und machten etwas, was niemand verstand. Das aber war egal, weil man dazu tanzen konnte. Wir brauchten kein großes Set-up, nur eine Steckdose für den Kontrabassverstärker. Mehr nicht. Man hat uns ins Eck gestellt und wir haben angefangen.
Schlagzeuger Alex Deutsch, dieser »Tsunami an Spiel- freude und Energie«, wie Du ihn einmal genannt hast, ist sehr laut. Deshalb musstest Du, um überhaupt ge- hört zu werden, mitunter spielen bis dir das Blut aus dem Mond troff. Ist das immer noch so?
Wenn man auf einem so hohen energetischen Level spielt, ist das für Bläser und Bassisten sehr anstrengend. Teilweise mussten wir uns sehr quälen. Oliver (Steger, Bassist, Anm.) und ich haben da viel dazugelernt und Spieltechniken entwi- ckelt, wie wir über lange Zeit hinweg laut und kräftig raumfül- lend sein können, ohne uns groß anstrengen zu müssen. Das hat mir auch in meiner anderen Musik sehr geholfen, weil ich gemerkt habe, mit wie wenig Kraft man viel erschaffen kann.
Du bist Klang-Fetischist. Denkst Du, Du hast den perfekten Klang schon gefunden oder geht die Suche nie zu Ende?
Klang ist für mich das A und O in der Musik, das Individuells- te und Persönlichste. Je authentischer der Klang ist, desto leichter fällt es mit dem Publikum zu kommunizieren. Man hat ein Bild, wo man hinkommen muss, und das sichere Be- wusstsein, dort nie hinkommen zu können. Das ist Segen und Fluch zugleich. Die einen zerbrechen daran, die anderen wachsen daran. Sonny Rollins war Zeit seines Lebens im Krieg mit sich. Mit seinem Sound und wie er spielte. Dann nahm er sich zwei Jahre raus, ging auf die Williamsburg Bridge um zu üben. Dann kam er zurück und jeder dachte: Jetzt wird er alles in Grund und Boden blasen. Und was hat er gemacht? Einfach eine wunderschöne, sehr entspannte Platte, »The Bridge«. Selbstkritisch und reflektiert. Im vollen Bewusstsein, dass er das, wo er hinkommen möchte, nie er- reichen wird. Ich glaube, das ist eine wichtige Erfahrung für jeden Künstler. Den Frieden mit sich selbst zu schließen.
Was bedeutet das konkret für Dich?
Ich gebe mein Bestes, pushe mich, fordere mich heraus und gebe in jedem Moment mein Bestes. Das reicht dann aber auch. Viele wollen mehr sein als sie tatsächlich sind und erreichen das genaue Gegenteil von dem was sie erreichen wollten.
Vielen Dank für das Gespräch.

Liminal Zone Mehr als drei Jahre hat sich Ulrich Drechsler Zeit genommen, einen neuen Rahmen für seine Musik zu erschaffen. Es entstanden drei Band- Projekte:
Caramel mit Bezügen zu Jazz, Filmmusik und Neoklassik. Das Album ist im März 2020 auf Enja & Yellowbird Records erschienen.
Azur eine Trip-Hop-Formation mit Peter Zirbs (Elektronik) und Loretta Who (Gesang). Im Herbst erscheint die EP, im Februar 2021 das Album.
Chrome (mit Peter Zirbs und mit Streicherensemble) ist sehr von Neoklassik und Filmmusik inspiriert.
Café Drechsler Dass sich das Trio nach dem bekannten Wiener Café nannte, ist reiner Zufall. Wegen der Namensgleichheit zu Saxophonist Ulrich Drechlser steckte der Sound-Engineer nach Demo-Aufnahmen ein Foto des Cafés als Cover in die CD-Hülle. Voilá. Schon hatte man einen Namen für die Band. Die Zustimmung des damals schon etwa 90-jährigen Café-Besitzers hat man sich mit 150 Melange-Gutscheinen für die Konzertbesucher erkauft.
TEXT: MARKUS DEISENBERGER, FOTOS: WOLF-DIETER GRABNER
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