Ich bin nicht konfliktscheu

Ein Gespräch mit ihm endet unweigerlich im gesellschaftlichen Diskurs. Cornelius Obonya ist nicht nur einer der besten und gefragtesten heimischen Schauspieler und Salzburgs Jedermann, er ist auch jemand, der gerne Stellung bezieht. Ein Gespräch über politische Schauspieler, sorglose Jedermänner und die Suche nach dem Gleichgewicht.
Sie proben derzeit Shakespeares Coriolan, der ab September im Wiener Akademietheater zu sehen ist. Was kann uns Coriolan heute noch geben?
Coriolan ist so aktuell, dass es einem teilweise die Ohren verschlägt. Was ist die beste Regierungsform? Ist es die Herrschaft des Volkes, bei der jeder mitreden kann, oder die Herrschaft einer Elite, die sich einen aussucht und den dann so erzieht und führt, dass er irgendwann selber glaubt, dass er es kann. Das mag auf den ersten Blick brutal wirken – nicht umsonst war dieses Stück in der Nachkriegszeit von den US-Amerikanern auf den Index gesetzt worden und durfte in deutschsprachigen Ländern nicht inszeniert werden – und leicht in Richtung Diktatur interpretierbar sein. Aber meiner Meinung nach geht es darum überhaupt nicht, sonst würden wir es nicht anfassen. Sondern es zeigt die Gefahren auf beiden Seiten. Letztendlich ist es der mühsame Weg des täglich aufs Neue zu suchenden politischen Gleichgewichts, der zu gehen ist.
Sie sind jemand, der gerne Stellung bezieht, auch politisch. Das ist alles andere als selbstverständlich. Haben Sie sich mit diese Ehrlichkeit auch Feinde gemacht bzw. Türen zugeschlagen?
Feinde gemacht sicher. Ob ich Türen zugeschlagen habe, kann ich nicht sagen, weil ich es vielleicht nicht bemerkt habe. Meist ist es halt der übliche kleine Internet-Shitstorm…
…den Sie aber auch in Kauf nehmen.
Klar. Ich bin nicht konfliktscheu. Sonst geht ja auch nichts weiter. Aber ich suche die große Öffentlichkeit nicht. Wenn Fragen gestellt werden und ich sie anhand von Realitäten beantworten kann, dann tue ich das. So hab ich das für mich entschieden. Literatur und unser Beruf, der sich mit Literatur beschäftigt, können ja nie apolitisch sein. Wir können uns in keine Kunstsphären erheben, wir haben das, was uns ein Anliegen ist, da draußen zu zeigen. Ich möchte schon, dass die Leute im Publikum etwas mitnehmen und sei es nur die Gewissheit, niemals so werden zu wollen wie ich.
Gehen wir zum Jedermann: Der ist lange nicht so klerikal und verstaubt, wie fälschlicherweise oft angenommen wird, oder?
Ist er nicht, nein, sonst hätte ich das auch nicht spielen wollen. Aber es wurde dadurch, dass es eine so starke österreichische Tradition bekommen hat, ein wenig verklebt. Und dieser Traditionalismus, der mit einem strikten Katholizismus einhergeht, wurde erst Anfang der Siebzigerjahre aufgebrochen. Dass es dann noch einmal mehr als zwanzig Jahre dauerte, bis es zu einer Diskussion kam, ob Kreuze etwas in einem Klassenzimmer verloren haben, wenn da auch Kinder anderer Religionen sitzen, ist wie vieles andere in diesem Land zehn Jahre zu spät. Aber immerhin wird es diskutiert.
Sie haben das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien unterstützt.
Ja, weil es etwas war, was ich aus Überzeugung unterschreiben konnte. Erst später wurde mir bewusst, dass es vielleicht auch war, um ein Zeichen für meine Rolle als Jedermann zu setzen: Dass es da nicht um einen katholentümelndes Begräbnisfest geht, sondern um die Frage, wie weit man geht, um anderen Menschen zu helfen.
Ist die Unterstützung des Kirchenvolksbegehrens auf Ablehnung gestoßen?
Nur unter massiven Erzkatholiken. Die übliche Anfeindungkam halt, wie man denn dieses Stück spielen könne, wenn man kein Katholik ist. Ein grundlegendes Missverständnis: Das Stück wurde von zwei Juden – Reinhardt und Hofmannsthal – ins Werk gesetzt.
War ein Grund dafür, weshalb Sie die Rolle vor vier Jahren annahmen, dass Sie eine Entstaubung durch die beiden Regisseure Julian Crouch und Brian Mertes erwarteten?
Ich traf die beiden das erste Mal, da war von einem Rollenangebot noch keine Rede. Sie saßen mit Sven-Eric Bechtolf zusammen und ich kam dazu. Als ich den kleinen Folder mit Vorentwürfen zu den Puppen sah, dachte ich sofort: Da muss ich rein! Ja, und dann haben wir miteinander geredet. Die Hoffnung auf den Blick nach außen, genau so war es. Die Hoffnung darauf, das nicht auf ewig gleich machen zu müssen. Und vor allem zu versuchen, es auf seinen Ursprung zu ziehen. Die Uraufführung in Berlin fand ja in einem Zirkuszelt statt.
Wenn Sie es auf einige wenige Sätze reduzieren müssten: Was, denken Sie, haben Sie dieser Figur des Jedermann hinzugefügt?
(denkt lange nach) Vielleicht die Sorglosigkeit dem Dasein gegenüber. Jedermann ist am Anfang besonders sorglos. Durch den herannahenden Tod wird er zum Kind gemacht. Geradeso wie ältere Leute zu Kindern werden, kurz bevor sie sterben. Da ist es kein männliches Gelächter mehr, das man hört, sondern kindlicher Diskant. Entwaffnet. Da gibt es nichts mehr, was man sich aufsetzen könnte. Wenn es mir gelungen ist, diese Naivität zu zeigen, ist schon viel gelungen.
Hat diese Klarheit, mit der Sie sich immer wieder politisch äußern und gegen Rechtspopulismus stellen, auch mit Ihrer ganz persönlichen Familiengeschichte zu tun? Ihre Großmutter Paula Wessely hat in einem Propagandafilm der Nazis (»Heimkehr«, 1941, Anm.) mitgewirkt.
Ja, absolut. Das ist sogar der Urgrund. Meine Großeltern (Paula Wessely und Attila Hörbiger, Anm.) hatten Angst um eine gigantische, super funktionierende Karriere und haben sich schlicht und ergreifend auf ihre Art und Weise mit dem Regime arrangiert. Ich hätte meiner Großmutter gerne viele Fragen dazu gestellt, nur war ich damals zu jung, zu uninformiert und auch argumentativ zu schwach, um das mit ihr auszufechten. Man muss auch sagen: Die hatten es damals schwerer, sprachen kein Englisch. Für mich wäre es heute viel leichter zu sagen: Ach, lass uns mal in die USA rüber gehen und schauen was passiert. Ich spreche die Sprache. Und wie Erich Kästner so schön sagte: Zum Helden wird man erst in der Sekunde, in der man die Entscheidung treffen muss.
Gibt es eine Rolle, von der Sie immer dachten, die sei Ihnen auf den Leib geschneidert, die aber noch nie an Sie herangetragen wurde? Eine Art heimliche Liebe?
Ja, aber lachen Sie jetzt nicht, ich meine es ernst: Hamlet. Seltsamerweise komme ich sehr oft an Rollen, für die keine Väter vorgesehen sind. Jedermann hat keinen Vater, Coriolan ebensowenig. Ich selbst hab‘ meinen Vater früh verloren. Mit neun. Und über die Mutter-Sohn-Beziehung in Hamlet glaube ich etwas zu wissen, weil ich mit meiner Mutter jahrelang im teils pupertär gesteuerten Infight war. Wir waren eben nur zu zweit. Da braucht man nicht lange herumreden: Diese Konflikte sind ein Erfahrungsschatz, den ich in die Rolle einfließen lassen könnte.
Wie steht es mit dem King Lear? Oder muss man da jetzt nach Brandauer einige Zeit vergehen lassen?
Das muss man sowieso, weil das Theatergesetz ist. Ich hab‘ auch noch lange nicht das Alter. Es gibt dazu einen schönen Satz von Lawrence Olivier, der ihn zwei Mal spielte, einmal in einer aberwitzigen Maske mit 39 Jahren, das zweite Mal mit 84. Beides ist extrem. Sinngemäß hat er gesagt: »Wenn man jung ist, hat man keine Ahnung von dieser Rolle, aber die Kraft dafür. Und wenn man alt ist, ist es genau umgekehrt: Man hat jede Menge Erfahrung, aber keine Kraft mehr.
Aber reizen würde Sie die Rolle?
Natürlich. Wahnsinnig. Aber fragen Sie mich das in zwanzig Jahren noch einmal.
Cornelius Obonya (47) wurde in Wien geboren. Er ist der Sohn von Elisabeth Orth. Seinen Vater Hanns Obonya, der ebenfalls Burgschauspieler war, verlor er mit neun Jahren. Seine Großeltern mütterlicherseits sind die Burgschauspieler Attila Hörbiger und Paula Wessely. Er ist einer der bekanntesten Theater- und Filmschauspieler Österreichs. Seit 2013 spielt er bei den Salzburger Festspielen den Jedermann. Als Kind wollte er Archäologe werden. Dass es damit nichts wurde, hat vor allem mit seiner Ungeduld zu tun. »Eine ruhige, auf ein Ding bezogene Beharrlichkeit – das ist nicht meines.« Obonya ist verheiratet und Vater eines Sohnes.
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