Michael Dangl Reisefieber

Manche suchen und finden den Sehnsuchtsort, andere zelebrieren die jährliche Auszeit. Wieder andere reisen, um Entlegenes aufzustöbern und es, indem sie es erforschen und für die Nachwelt aufzeichnen, vor dem Vergessen zu bewahren. Vision.Salzburg traf drei Salzburger mit völlig unterschiedlichen Reisevorlieben. Prädikat: Inspirierend & nachahmenswert.

 

Der Sehnsuchtsort

»Ich möchte nicht, dass ich mich aus irgendeinem Grund verpflichtet fühle dorthin zu fahren, ich will es aus reiner Freude tun.« Michael Dangl

Grado sei seine Geliebte, sagt der Schauspieler Michael Dangl. »Schon im Bruchteil der ersten Sekunde hat es sich entschieden, dass es zwischen uns gewaltig funkt«, erzählt er. An die vierzig Mal ist der gebürtige Salzburger seitdem in der malerischen kleinen Stadt an der Adria gewesen, wobei die Besuche zwischen wenigen Tagen und zwei Monaten dauerten. Irgendwann, nachdem er so viele besondere Orte aufgespürt und Geschichten gehört hatte, beschloss er dann, ein Buch darüber zu schreiben. »Grado abseits der Pfade« heißt es und ist eine wunderbare literarische Liebeserklärung an seinen Sehnsuchtsort geworden. Wer den Ort kennt oder ihn kennen lernen möchte, sollte es unbedingt lesen. Orte und Menschen kommen darin auf ganz zauberhafte Weise zu Wort, und Dangl hält dabei immer jene respektvolle Distanz, die eine wirkliche Liebe verordnet.

Aber auch sonst ist der gebürtige Salzburger viel unterwegs, pendelt zwischen Wien, wo er am Theater in der Josefstadt spielt, und St. Petersburg, wo Frau und Tochter leben, und reist beruflich wie privat leidenschaftlich gerne durch ganz Europa. Nirgends aber, so der Schauspieler und Autor, habe er so sehr das Gefühl, nach Hause zu kommen, wie im Italienischen, und ganz speziell in Grado. Die Entspannung setze schon am Weg dorthin ein. »Spätestens wenn ich um die berühmte Kurve bei Belvedere biege und die Lagune vor mir liegt. Und wenn ich dann in der Altstadt oder am Strand sitze, hab’ ich das Gefühl, zuhause angekommen zu sein und als könne mir nichts passieren. Gerüche aus meiner Kindheit steigen mir in die Nase…«

Wahrscheinlich habe es mit dem Innehalten und dem Besinnen auf das Wesentliches zu tun, so Dangl. »Ich komme näher und rascher an das heran, was ich als den Kern meiner Person bezeichnen würde.« Man könne es aber auch pathetischer ausdrücken: »Ich spüre meine Seele näher bei mir.« Aber wieso bleibt man dann nicht gleich für immer dort? Ganz einfach: In Wien gäbe es das bessere Theater, so Dangl. Aber, ergänzt er, es wäre dann auch nicht mehr das Gleiche. Bliebe man permanent dort, wäre doch der Sehnsuchtsort plötzlich keiner mehr. Genau deshalb habe er auch keine fixe Wohnung dort und auch kein Boot. »Ich möchte nicht, dass ich mich aus irgendeinem Grund verpflichtet fühle, dorthin zu fahren, ich will es aus reiner Freude tun.«

 

Die Chronistenrolle

»Ich will einfach die Leute kennen lernen, die in einem solchen Land leben. Ich will herausfinden, wie sie leben und wer sie sind, und ihre Städte, Dörfer, Häuser sehen und beschreiben.« Karl Markus Gauss

Karl-Markus Gauß war die längste Zeit seines Lebens vornehmlich ein Bücherreisender. »Das heißt, ich habe meine Reisen in Bibliotheken und Romanen unternommen«, so der Schriftsteller. Erst seine Frau habe ihn zum Reisenden gemacht, »der auch in der Realität herumfährt.« Nach den üblichen kleinen Ausflügen und längeren Aufenthalten mit Kindern am Meer kam erst spät die Einsicht, »dass ich nicht nur die Bücher habe, um auf Reisen zu gehen, sondern es da ja auch etwas gibt, was man ›die Welt‹ nennen könnte«. Dafür sei er es im Alter von ca. 35 bis 40 Jahren mit dem Reisen und dem Schreiben darüber dann gleich so energisch angegangen, dass man ihn heute längst als großen Reisenden identifiziert, erzählt er. Tatsächlich hat Gauß das Unterwegssein, vor allem aber das Bereisen von dem durchschnittlichen Mitteleuropäer als entlegen, langweilig und rückständig geltenden Gegenden, geradezu zu seiner Marke gemacht hat.
Was aber bringt einen auf die Idee, die Republik Moldau bereisen zu wollen? »Es ist einerseits eine Neugier, etwas mit eigenen Augen sehen und mit den Beinen erwandern zu wollen, von dem ich mich schon vorher relativ gut kundig gemacht habe. Der persönliche Augenschein ist dann immer das Wichtigste.« Aber auch ein gewisses Drängen nach Gerechtigkeit spiele laut Gauß eine Rolle. »Die Moldauer sind die ärmsten Europäer, und touristisch ist ihr Land völlig unerschlossen. Ich will einfach die Leute kennen lernen, die in einem solchen Land leben. Ich will herausfinden, wie sie leben und wer sie sind, und ihre Städte, Dörfer, Häuser sehen und beschreiben.« Wer es dem Meister gleichtun oder wissen will, was es mit der gefährlich klingenden Drohung »Zwanzig Lewa oder tot« auf sich hat, sollte unbedingt sein neues Buch mit eben diesem Titel lesen. Die ihm oft zugeschriebene »Chronistenrolle«, der laut Gauß das melancholischen Anliegen zugrundeliegt, »Dinge, die verschwinden, noch einmal beschreiben, würdigen zu wollen. Dinge, Haltungen, Menschen, Eigenheiten: das Besondere an ihnen«, nimmt er nicht nur gerne an, er füllt sie auch aus. Er selbst schreibe nicht, sagt er, um jemandanderen zu belehren, sondern um schreibend selber klüger, auch tapferer, lebensfroher zu werden. Und wir werden es hoffentlich mit ihm.

Karl-Markus Gauß Reisefieber

 

Die Auszeit

»Vierzehn Tage, um ›runter zu kommen‹, die Arbeit aus dem Kopf zu kriegen und sich fallen zu lassen. Die meisten müssen dann wieder retour in ihren Job und freuen sich auf den nächsten Urlaub. In ein paar Monaten oder erst im nächsten Jahr«, fasst Eva Bubendorfer ganz gut zusammen, was Urlaub für die meisten von uns bedeutet. »Aber je länger man Zeit hat, umso intensiver hat man auch die Möglichkeit, ein Land zu erkunden«, so die Salzburgerin. Genau deshalb flogen Eva Bubendorfer und ihr Mann Harry, nachdem sie ein Jahr zusammen waren, gleich für zwei Monate nach Mexiko. »Zwei Monate keine Termine, keine Verpflichtungen, nur wir beide mit scheinbar unendlich viel Zeit…«
Seitdem sind die beiden vom Reisefieber infiziert und ziehen den Abenteuerurlaub jeder Pauschalreise vor. Die Reaktionen auf ihre Reisetätigkeit jedoch fallen durchwachsen aus: »Pakistan? – Viel zu gefährlich!« Und: »Arabische Halbinsel? – Ihr fährt in die falsche Richtung!« hieß es. Oder: »Iran? – Was wollt ihr denn da???« Auch heute noch ist es für manche Freunde und Bekannte nicht nachvollziehbar, dass sie es 24 Stunden miteinander auf teilweise 8 m² – ständiger Begleiter auf ihren Reisen ist ein Wohnmobil, das die beiden für nur 2.100 Euro auf Ebay ersteigert haben – so lange Zeit aushalten. Freilich, das Reisen in Länder wie diese birgt auch Gefahrenquellen und Unwägbarkeiten – etwa, als man im Zuge des arabischen Frühlings, der sich damals wie ein Flächenbrand ausbreitete, an der syrischen Grenze festsaß. Aber die jährliche Auszeit von zwei bis drei Monaten ist für die beiden längst lebensnotwendig geworden. Als es einmal zwei Jahre hintereinander nicht gelang zu verreisen, weil man im Job feststeckte, »bemerkten wir, wie ›unrund‹ wir auf einmal liefen, wie unzufrieden und unerfüllt wir waren, dass wir begannen, um uns kurzzeitig Befriedigung zu verschaffen, für unnütze Sachen viel Geld auszugeben«, erzählt Bubendorfer. »Da war es wieder allerhöchste Zeit für eine Veränderung.«
In den letzten Jahren, seit sich Eva und Harry finanziell freier bewegen können, hat sich die Anzahl der Wochen, die die beiden jährlich unterwegs sind, sukzessive vergrößert. Die längste Reise dauerte zwei Jahre. »Das Maximum sind aber normalerweise neun Monate, danach drängt es uns nach Hause.«

Obwohl die beiden so viel unterwegs sind, gibt es immer noch Länder, die sie noch nicht gesehen haben: »Die Galapagos Inseln etwa, die Mongolei oder Island.« Den Zweck des Reisens beschreibt Bubendorfer so: »Ich würde behaupten, uns hat das Reisen allgemein gelehrt, vorgefasste Meinungen zu überdenken, demütig und dankbar zu sein.« Ihr Tipp: »Einen Zeitpunkt setzen! Die Sache mit ›Irgendwann fahre ich in die Walachei‹ funktioniert nicht. Eine Jahreszahl, einen Monat, sonst fährt man nie.«

 

Eva Bubendorfer Reisefieber