Interview mit Anna Buchegger

Von Zickezacke bis Hulapalu
ANNA BUCHEGGER HAT STARMANIA, ÖSTERREICHS GRÖSSTE CASTING-SHOW, GEWONNEN. IHRE TEILNAHME BEZEICHNET DIE GEBÜRTIGE ABTENAUERIN RETROSPEKTIV ALS »REIZVOLLEN KAMPF GEGEN ANDERE UND SICH SELBST«. NOCH EINMAL WÜRDE SIE ES ALLERDINGS NICHT MACHEN — AUCH WEIL SIE JETZT EINEM GRÖSSEREN PUBLIKUM ALS SÄNGERIN VON COVERVERSIONEN BEKANNT IST. SCHAFFEN ABER WILL SIE ES MIT IHREN EIGENEN SONGS. DAS ZEUG DAZU HAT SIE. EIN GESPRÄCH ÜBER MUSIK ALS KNOCHENARBEIT UND DIE MITREISSENDE KUNST EINES IGOR LEVIT.
Hast Du Dir von Starmania zu viel oder zu wenig erwartet?
Ich habe mir ehrlich gesagt gar nichts erwartet, und deshalb hat es auch ganz gut gepasst für mich.
Würdest Du´s noch mal machen?
Ich wurde damals vom ORF angefragt. Das heißt, ich habe mich nicht beworben, sondern die haben mich angerufen und gefragt, ob ich nicht mitmachen wolle. Hätten sie mich nicht angerufen, hätte ich es nicht gemacht. Insofern: Nein. Und: Wenn man so etwas zu oft macht, nimmt es auch die Magie. Nicht, dass es jetzt so magisch gewesen wäre, aber es war eine Erfahrung. Egal ob gut oder schlecht, ich habe viel gelernt, auch über mich selber und über das Business. Das macht man nicht ein zweites Mal.
»Über das Business gelernt« klingt, als ob sich eine gewisse Ernüchterung breit gemacht hätte?
Man weiß doch eh, was über das Musik- Business gesprochen wird. Jeder kennt eine Menge Anekdoten. Man befürchtet deshalb schon vorher einiges, und dann ist es tatsächlich noch schlimmer als man glaubte. Aber auch besser.
Inwiefern schlimmer, inwiefern besser?
Es hat immer einen gewissen Reiz, weil es Selbstinszenierung ist und ein Kampf gegen andere und sich selbst. Das macht es reizvoll. Aber es geht auch um viel, worum es nicht gehen sollte. Es gibt viele Hierarchien – und das will ich nicht vertreten.
Was von dem, was Du Dir erhofft hast, ist eingetreten und was nicht?
Ich habe mir erhofft, dass ich eine gewisse Szene vertreten kann. Ich mache ja nicht erst seit gestern Musik, sondern schon länger. Ich habe vor Starmania ein ganzes Jahr nichts verdient, die Pandemie voll abgekriegt. Da hatte ich schon das Gefühl, dass ich und wofür ich stehe, ernst genommen werden. Und auch, wie wichtig mir Musik und Kunst sind. Dass Kunst etwas sehr Ernstzunehmendes ist. Und dass Kunst auch Arbeit ist. Ich hatte das Gefühl, dass das bei vielen Menschen angekommen ist.
Was hat sich aus Starmania ergeben? War die Teilnahme in irgendeiner Weise hilfreich für Dich?
Es hat sich nicht viel geändert. Ich mache nach wie vor das, was ich vorher auch schon machte. Vielleicht habe ich einen Marktwert bekommen. Davon spüre ich allerdings nichts, um ehrlich zu sein. Was sich schon geändert hat: Es kennen mich mehr Menschen als vorher. Neulich habe ich bei einer Charity- Veranstaltung für die Opfer der Überschwemmungen in Hallein gesungen. Ohne meinen aktuellen Bekanntheitsgrad hätte ich nicht so viel Geld eingespielt, hätte die Menschen also nicht so gut unterstützen können.
In einem Interview während der Show gabst Du Dich sehr nachdenklich: Du hättest lange darüber nachgedacht, ob Du den Anforderungen einer solchen Show überhaupt gewachsen bist, ob eine Castingshow nicht negativ behaftet sei und Dich somit als Künstlerin entwerten könnte. Ob eine Künstlerin es überhaupt nötig habe, sich bewerten zu lassen. Was gab den Ausschlag, trotz dieser Bedenken teilzunehmen?
Ich habe mich dann doch dafür entschieden, weil ich viele Menschen gefragt habe, ob ich’s machen soll und jeder gesagt hat: »Wenn Du’s nicht machst, Anna, bereust du es vielleicht später.« Das war der Slogan, der mich überredet hat. Ich will nichts bereuen müssen. Und wie gesagt: Es ist ja auch reizvoll, sich zu inszenieren.
Du hast vorher auch schon an anderen Castingshows teilgenommen: 2011 an »Die große Chance«, 2014 an »Herz von Österreich« auf Puls 4. Beim dritten Mal hat’s erst geklappt.
Die beiden ersten Male hab’ ich nicht viel mitgekriegt. Das macht einen immensen Unterschied, ob du da als Kind oder Erwachsener aufkreuzt. Da liegen Welten dazwischen. Ich würde meinem Kind nie erlauben, bei einer Castingshow mitzumachen. Schon gar nicht in einem so jungen Alter, zwischen 12 und 14.
Warum nicht?
Weil man da in einer Phase ist, in der man erst einmal herausfinden muss, wer man ist und wer man sein will.
Warum haben’s Dir die Eltern erlaubt?
Weil meine Eltern mir alles erlaubt haben, was mit Musik zu tun hatte. Man muss dazu sagen, dass meine Mutter damals die Initiatorin war. Sie gibt es heute auch zu. Wir haben da lange gestritten. Ich war nicht so glücklich damit.
Entwickelt man da so etwas wie einen Castingshow-Ehrgeiz, nach dem Motto: Jetzt bin ich im Viertelfinale ausgeschieden, nächstes Mal möchte ich weiterkommen?
Überhaupt nicht. In der Universitäts- Bubble, in der ich mich die letzten Jahre befand, geht es um etwas völlig anderes. Da geht es um Virtuosität. Du kommst also aus einer Welt, in der es darum geht, möglichst viele Triolen in einen Chorus zu packen und möglichst viele Septen zu trällern, zu einer Castingshow, wo Sechzehnjährige teilnehmen, die zum ersten Mal in ihrem Leben auf einer Bühne stehen und nicht wissen, was ein C-Dur-Akkord ist.
Kann das nicht auch angenehm entspannend sein, weil man den verkopft- universitären Betrieb einmal hinter sich lässt?
Auf jeden Fall. Aber man will auch ernst genommen werden. Wenn man auf der universitären Ebene Musik macht und dann zu einer Castingshow geht, ist das ein Downgrade, wenn Du mich fragst.
Du hast Musik aber auch schon als Knochenarbeit kennengelernt, nicht nur als Sängerin der First-Line-Band, wo es Tage gab, an denen ihr zu Mittag in Flachau und abends in Gastein aufgetreten seid, sondern auch auf unzähligen Hochzeiten, auf denen Du gesungen hast, oder?
Ja. Dem ist nichts hinzuzufügen. Das hat Dienstleistungscharakter. Musikalisch geht es da im Prinzip um gar nichts. Da kannst du den Text verändern, in den Brautwalzer Gemeinheiten reinpacken, es würde niemandem auffallen, weil dir eh niemand hundertprozentig zuhört. Am Ende des Tages zählt, dass die Leute gern auf der Hochzeit waren und die Party geil fanden. Dafür muss man alles machen: »Von Zickezacke bis Hulapalu«.
Schön es hinter sich gelassen zu haben?
Tatsächlich spiele ich morgen auf einer Hochzeit.
Warum?
(lacht) Weil ich sie voriges Jahr schon zugesagt habe.
Warum hast Du Dein eigens Label gegründet?
Weil ich unabhängig sein möchte und meinen Kuchen nicht aufteilen will. Ich will das lieber alles selber machen.
Was viel Arbeit bedeutet. Hast Du dafür überhaupt Zeit neben der Musik?
Mehr oder weniger. Manche Sachen muss man halt machen, die Bürokratie, die dahinter steckt. Ich mache alles allein, aber ich habe einen guten Freund, mit dem ich produziere. Mit dem mache ich mir aus, wer wie viel bekommt. Ich melde es dann an, lade es hoch und vertreibe.
Wenn heute jemand anrufen und dich fragte, ob Du beim Eurovisions-Songcontest für Österreich starten würdest. Würdest Du zusagen?
Unter bestimmten Bedingungen vielleicht. Ich würde auf jeden Fall meinen Song selber schreiben wollen. Soweit ich weiß, darf man das aber nicht. Der Song wird in Österreich immer von jemandem anderen geschrieben. Ich will aber alles allein machen. Das ist vielleicht auch mein größtes Problem. Ich will keine Hilfe suchen, sondern probieren, wie weit ich allein komme. Deshalb ist mir auch so wichtig, dass jedes Wort, das ich singe, von mir ist.
Du bist als Kind mit Schlagern von Conny Froboess aufgewachsen. Wer ist derzeit Deine größte musikalische Inspiration?
Mich inspiriert schnell etwas. Das muss kein Superstar, sondern u.U. auch jemand aus meinem Umfeld sein, der etwas macht, was ich ästhetisch ansprechend finde. Aber kürzlich habe ich mir im Festspielhaus Igor Levit angehört. Das hat mich richtig mitgerissen. Im Pop bin ich manchmal überkritisch, weil mir so viele Dinge auffallen, die ich anders vielleicht schöner fände. In der Klassik kenne ich mich nicht so gut aus. Vielleicht konnte ich deshalb abschalten wie schon lange nicht mehr. Igor Levits Spiel hat mich voll abgeholt.
Du hast auf Deinem Label zwei Singles releast, die Vorbote einer 3er-EP sind. Wird es denn auch ein volles Album von Anna Buchegger geben?
Erst mal nicht. Ich habe völlig falsch angefangen, die künstlerische Karriere falsch aufgerollt. Jetzt bin ich durch das Singen von Coverversionen bekannt, habe Fans, die es toll finden, wenn ich Kiss von Prince singe. Aber eigentlich will ich die Leute durch meine eigene Musik begeistern, und genau das erarbeitet man sich mit seinen eigenen Songs. Dafür muss man erst mal seine Identität suchen, was nicht funktioniert, wenn einem immer noch dieser Starmania- Sticker draufklebt. Alles, was angefragt wird, hat damit zu tun. Ich muss immer erzählen, was vor fünf Monaten war. Ob ich Dritter geworden wäre oder das gewonnen habe, ist doch im Endeffekt völlig egal. Man gibt dem eine Wichtigkeit, die es gar nicht hat.
Du versuchst also, weiter Deinen eigenen Weg zu gehen?
»Versuchen« ist das falsche Wort. Für mich ist es hauptsächlich ein Herausfinden. Etwas machen, etwas kreieren. Das ist wie bei einem Baby: Das ist, wenn es nach der Geburt vor dir liegt, auch kein Versuch, sondern ein Geschöpf. Vielen Dank für das Gespräch.
Vielen Dank für das Gespräch.

Anna Buchegger (* 1999) ist eine österreichische Jazz- und Popsängerin. Sie stammt aus Abtenau, wo ihre Eltern eine kleine Landwirtschaft mit Alpakas betreiben. Live ist sie in vielen Formationen und Konstellationen zu erleben. Zuletzt mit dem MMC – mobile music club (u.a. mit Chris Kronreif und Robert Kainar), vielleicht bald auch wieder mit dem Hackbrett, auf dem sie im Volksmusik-Duo mit ihrer älteren Schwester begann. Ihr schwebt ein Projekt vor, bei dem Volksmusik und Elektronik zu etwas Neuem, Spannenden verschmelzen.
TEXT: MARKUS DEISENBERGER / FOTOS: ANNA BUCHEGGER, ANDREAS KOLARIK
Social