Soeur Marie Keyrouz bemüht sich stark um interreligiöses Verständnis und Offenheit der Kulturen . Im Rahmen der Reihe Overture Spirituelle singt die aus dem Libanon stammende und in Paris lebende Ordensschwester Marienhymnen – gemeinsam mit dem 1984 von ihr gegründeten Ensemble Vocal de la Paix. Ein Gespräch über die Hässlichkeit des Krieges, die heilende Kraft von Musik und das Sakrale, das in unserem tiefsten Inneren steckt.

 

1984, als Ihr Heimatland, der Libanon, in einem bitter geführten Religionskrieg unterzugehen drohte, haben Sie das Ensemble Vocal de la Paix gegründet, das »Friedens-Ensemble«, dessen Ziel es war und ist, das Böse und die Hässlichkeit des Krieges mit Spiritualität und Schönheit zu bekämpfen. Worin bemisst sich der Erfolg eines solch schwierigen Unterfangens? Und denken Sie, die Arbeit war erfolgreich?
Das »Friedens-Ensemble« ist während der Bombardierungen entstanden, zeitgleich mit der lyrischen Geburt meiner Stimme. Angesichts der Intoleranz, des Verfalls der Kultur und des Vergessens des Sakralen war es mir unmöglich, nichts zu unternehmen und auf den Tod zu warten. Die Nonne in mir wollte Gerechtigkeit. Deshalb suchte ich die Wahrheit der Religionen, wobei keine von ihnen Gewalt toleriert, sie jedoch von der Politik manipuliert wurden, um aus ihren Führern Kriegsmarionetten zu machen und Terroristenfabriken aufzuziehen. Aber auch die Musikerin in mir verlangte nach Schönheit, die ich in den Herzen aller Männer sah, auch der bewaffneten. Das hat mich dazu bewogen, libanesische Brüder und Schwestern aus allen Religionen und Kulten, die musizieren oder singen, zu kontaktieren, um uns rund um sakrale Musik zu versammeln, und die Schlechtheit und Hässlichkeit des Krieges mit Schönheit und Sakralem zu besiegen. Gott sei Dank kann ich heute behaupten, dass meine Mission ein Erfolg ist, denn wir schaffen es trotz aller Widrigkeiten, das wahre Gesicht der Religionen zu zeigen.

Viele halten Religion für die Ursache allen Übels. 
Wenn man Unschuldige in einem Restaurant oder in einer Konzerthalle tötet, hat das nichts mit Religion zu tun, denn keine von ihnen toleriert diesen Hass und diese Unmenschlichkeit. Aber leider brauchen die Mächtigen Marionetten, um Krieg zu führen, und im Namen der Religion ist die Manipulation der Unwissenden viel leichter.

Heute, mehr als dreißig Jahre nach der Gründung des Ensembles, tobt im Nachbarland Syrien wieder ein Religionskrieg.
Ja, leider setzt sich die Tragödie fort, denn die wahren Ursprünge aller Kriege existieren noch immer und sind immer die gleichen: Geld und die Interessen der Großmächte. Und das Schlimmste an alldem ist, dass immer die Unschuldigen den größten Preis zahlen. Aber das wird uns nicht zum Verstummen bringen. Wir werden die Kerze weiterhin tragen, und auch wenn sie klein ist, wird sie die Dunkelheit erhellen.

Ihr Heimatland Libanon war das einfachste Ziel für hunderttausende syrische Flüchtlinge. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Bei einer Einwohnerzahl von vier Millionen wurden eineinhalb Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Das ist enorm viel für dieses kleine Land mit dem großen Herzen voll Liebe und Barmherzigkeit, das bei Kriegen zwischen den Großen auf dieser Erde immer den höchsten Tribut zahlt. Ich werde die Aufnahme der palästinensischen Flüchtlinge nicht vergessen, und ihren Krieg gegen die Libanesen. Ich fürchte mich vor einer Wiederholung dessen, denn mehr als die Hälfte der Flüchtlinge ist bewaffnet.

Gibt es manchmal Momente, in denen Sie angesichts der weltpolitischen Lage verzweifeln?
Ja, vor allem wenn das Schweigen angesichts der Massaker von Unschuldigen und dem Auslöschen von Kultur und Geschichte unerträglich wird.

Woraus schöpfen Sie Ihre Kraft?
Mein Glaube an Gott und an den Menschen, der sein Abbild ist, ist ungebrochen, trotz aller Gräuel, die uns umgeben. Ich probiere mithilfe meiner Gebete und meiner Stimme weiterzumachen. Sie sind ein Geschenk Gottes, die mir viel Kraft geben. Ebenso bin ich überzeugt, dass das Böse vom Guten und Schönen besiegt werden wird.

Was macht Musik für Sie spirituell?
Musik, sagte Debussy, sei dazu da, das Unaussprechliche auszudrücken. Und was ist unaussprechlicher als das Wort Gottes, was ist unbeschreiblicher als das göttliche Mysterium? Der Sakralgesang war nie eine Musik von weit entfernten Sphären, ein engelhaftes Frohlocken, das dazu einlädt über den Menschen zu schweben. Im Gegenteil: Die Melodien, das heilige Wort und das Gebet sind eines und dazu da, Leid und Zwist zu mildern und uns Frieden und Harmonie zu bringen.

In Salzburg werden Sie versuchen, dem Publikum die Gesangstraditionen der melkitischen, maronitischen und aramäischen Kirchen näherzubringen. Wie verläuft aus Ihrer Erfahrung der erste Kontakt mit diesem Liedgut? Sind mitteleuropäische Ohren anfangs skeptisch?
Das europäische Ohr ist vielleicht die Mikro-Intervalle der orientalischen Musik nicht gewohnt, aber nach dreißig Jahren Erfahrung in Europa und der Welt bin ich immer überzeugter, dass Musik keinen Reisepass benötigt, um Hürden und Grenzen zu überwinden, vor allem sakrale Musik.

Denken Sie, auch unreligiöse Menschen können die spirituelle Kraft von Musik erfassen?
Die sakrale Musik ist nicht nur spirituell, sondern vor allem menschlich. Sie richtet sich an das Herz der Menschen, unabhängig von ihrem Glauben. Ich gebe seit dreißig Jahren im Orient und im Westen Konzerte sakraler Musik und ich versichere Ihnen, dass viele Menschen zu unseren Konzerten kommen, die keiner Religion angehören. Sie kommen vielleicht wegen der Musik oder aus einem anderen Grund. Ich komme auf sie zu, nicht aus Bekehrungseifer, sondern um einen Moment der höchsten Liebe zu erleben, und das mittels einer gewissen Schönheit des Gesangs, um die ultimative Schönheit zu entdecken: Gott.

Können Sie beschreiben, was Sie fühlen, wenn Sie singen?Keyrouz-2
Ich probiere beim Singen einen Moment des Glaubens und der Liebe zu erleben. Ich versuche, alle, die mir zuhören, auf meinen Stimmbändern zu tragen, und sie zum Stand der Gnade mitzunehmen, den ich beim Singen erlebe. Und die Leute können mitkommen oder nicht, das Wichtigste ist, ihnen einen Moment der Ausgeglichenheit zu schenken, abseits des Lärms der Welt, damit inneren Frieden wiederfinden, und da bin ich mir sicher, dass sie das große Sakrale treffen, das in ihrem tiefsten Inneren steckt.

Mit Ihren Konzerten finanzieren Sie mehrere Waisenhäuser im Libanon?
Ja. Ich bin zutiefst überzeugt, dass Armut und Unwissen die Ursprünge sozialer Risse und Konflikte sind. Es ist nicht akzeptabel, dass Millionen Kinder zur Arbeit genötigt werden, dass sie auf der Straße leben müssen, dass sie gefoltert oder umgebracht werden, dass sie gezwungen werden, in den Kriegen der Erwachsenen zu kämpfen, dass sie in die Welt der Drogen, Prostitution, Kriminalität oder des Terrorismus gezwungen werden.

Soeur Marie Keyroux (53) ist eine libanesische Sängerin und Ordensschwester. Sie stammt aus einer maronitischen Familie und ist Mitglied der melkitischen Kongregation des Frauenordens Basiliennes Chouerites. Sie ist Gründerin und Vorsitzende des Internationalen Instituts für Sakralgesang in Paris, das derzeit 240 Schüler unterrichtet.

Das Ensemble Vocal de la Paix besteht aus 45 Musikern und Sängern. Schwester Keyrouz selbst wählt alle Mitglieder selbst aus. Nicht Virtuosität, sondern die spirituelle Tiefe, die aus ihrem Spiel hervorgeht, ist für ihre Auswahl ausschlaggebend.