Das Salzburger Marionettentheater ist seit 2016 Immaterielles UNESCO- Kulturerbe und eines der wenigen Puppentheater in Europa mit einem fix angestellten Ensemble. Trotzdem pflegen viele, vor allem erwachsene Salzburger, eine stiefmütterliche Beziehung zur Traditionsbühne. Die Zeichen stehen gut dafür, dass sich das in nächster Zeit ändern könnte.

Obwohl Susanne Tiefenbacher mittlerweile immer schmunzeln muss, wenn ihr der Satz vieler BesucherInnen – dass sie das letzte Mal als Kind oder mit der Schule im Marionettentheater waren – zu Ohren kommt. Das gilt es zu ändern, nimmt sich die Kulturmanagerin und seit einem Jahr Geschäftsführerin des Marionettentheaters fest vor. »Das Haus zu öffnen, auch für andere Genres wieder verstärkt für die Einheimischen da zu sein, Kooperationen mit lokalen und regionalen Kulturinstitutionen zu verstärken bzw. gezielt fortzusetzen und, und, und … die Möglichkeiten gehen uns so schnell nicht aus,« sprudelt sie begeistert. Neue Akzente setzen, ohne die unschätzbare Tradition zu vernachlässigen.

Und da wären gleich eine Reihe interessanter Produktionen, etwa Ludwig v. Beethovens Oper Fidelio, die 2019 für das Beethovenfestival in Bonn erarbeitet wurde, dessen Österreichpremiere 2021 coronabedingt ins Wasser fiel und die am 12. und 13. Mai 2022 auf der großen Reisebühne des Theaters in der Szene-Salzburg nachgeholt wird. »Das sei Marionettenspiel in seiner klarsten Form, mit sehr reduzierten, aber unglaublich ausdrucksstarken Puppen«, schwärmt Tiefenbacher. Das industrielle Ambiente der Szene passe perfekt zur puristischen Inszenierung von Thomas Reichert, bei der auch die Puppenspieler teilweise sichtbar sind.

Oder Pùnktititi, eine spannende Kombination aus Marionettenspiel, Objekttheater, Schauspiel, Pantomime und Livemusik, die in Kooperation mit der Internationalen Stiftung Mozarteum anlässlich der Mozartwoche 2020 entstand und coronabedingt dieses Jahr auch nicht aufgeführt werden konnte. Das wird nachgeholt, nämlich am 28./29. Jänner und 5./6. Fe- bruar 2022. Im Sommer wird dann Hinrich

Horstkottes Inszenierung Alice im Wunderland nach längerer Pause wieder aufgenommen. Jetzt in der Adventzeit stehen Der kleine Prinz, Die Zauberflöte, Der Nussknacker und die beliebten Märchen am Programm. Es gibt also eine Fülle an sehr unterschiedlichen Produktionen, die ebenso unterschiedliches Publikum ansprechen. Man versteht sich als Theater für die ganze Familie.

Der Aufwand und Einsatz, der im Haus an der Schwarzstraße für die Erarbeitung der einzelnen Stücke betrieben wird, ist enorm. So werden die Puppen für jede Produktion nach Vorgaben des Regisseurs von den Ensemblemitgliedern selbst angefertigt, teils in mehrfacher Ausfertigung in unterschiedlichen Kostümen. Ebenso die Bühnenbilder, und mit Probenzeiten kann es dann schon zwei Jahre dauern, bis eine Neuproduktion bühnenreif ist.

Was macht den Reiz des Marionettentheaters eigentlich aus, wollen wir von Philippe Brunner, dem künstlerischen Leiter und selbst seit Jahrzehnten Puppenspieler, wissen. Ganz abgesehen davon, dass er es liebe, vor Kindern zu spielen, seien es oft die Erwachsenen, die nach einer Vorstellung ganz fasziniert sind: »Es war, als ob da echte Schauspieler gespielt hätten!« Das kommt durch den seit Anbeginn des Theaters hochgehaltenen Anspruch der möglichst menschengetreuen Gestaltung und feinen Führung der Puppen. Es ist aber auch ein Verdienst der jeweiligen Inszenierung und der unglaublichen Kunstfertigkeit der PuppenspielerInnen. »Puppenspielen ist eine langsame Kunst«, meint Brunner. »Weniger ist oft mehr. Und die Menschen genießen das zunehmend. Sie kommen zu uns und tauchen zwei Stunden lang in eine andere Geschwindigkeit, in eine andere Welt ab.«

Die Phantasie fängt wieder an aufzublühen.

Sie waren einmal Programmleiter bei ECM Records. Wie kommt man vom Olymp des Jazz zum Salzburger Marionettentheater?

Mein Vater war bei den Berliner Philharmonikern und deshalb Ostern immer in Salzburg und ich immer im Marionettentheater. Da fing ich Feuer. Dann durfte ich einen Freund mitnehmen, mit dem ich dann später in Berlin Theater spielte und anfing, selbst Marionetten zu bauen. Dann ging ich zum Konzertmanagement und landete bei ECM, aber die Marionetten haben mich nie losgelassen. Anfang der 2000er-Jahre wurde ich gefragt, ob ich nicht nach Salzburg ans Theater kommen möchte – und seitdem bin ich da.

Was hat sich in dieser Zeit getan?

Es fand eine große Öffnung statt. Gretl Aicher von der Gründerfamilie Aicher hat mir noch selbst viel im Spiel beigebracht. Aber damals war das Repertoire sehr auf die Mozartopern fixiert. Dann setzte eine Öffnung Richtung Schauspiel ein. Wir produzierten mit Hinrich Horstkotte Shakespeares Ein Sommernachtstraum, und das Musical The Sound of Music ist eine wichtige Produktion im Sommer. Gemeinsam mit dem Salzburger Landestheater entstanden Wo die wilden Kerle wohnen oder Der Ring der Nibelungen. Auch das Sichtbarmachen der Puppenspieler hinter der Bühne war jahrzehntelang tabu. Nur ausgewählte Personen durften damals sehen, wie diese Magie funktioniert.

Aber gerade dadurch verstehen die Leute doch, wie filigran und komplex diese Technik ist und lernen das Puppenspiel mehr zu schätzen, oder?

Ja, da hat auch Barbara Heuberger mit Führungen erste Öffnungsschritte gesetzt. Und es gibt viele Aspekte, die unsere BesucherInnen zum Staunen bringen. Die Detailverliebtheit bei den Kostümen, die Technik, die Illusion, die Magie. Gerade Erwachsene, die glauben, schon alles erlebt zu haben, werden, wenn sie hier sitzen, oft wieder zu Kindern und ihre Phantasie fängt an aufzublühen.

Eine Frage noch: Wieso arbeitet man mit so alten Tonaufnahmen? Zur Zauberflöte etwa wird eine Aufnahme mit Ferenc Fricsay als Dirigent und Fischer-Dieskau als Tenor eingespielt.

Die Produktion »Die Zauberflöte« und die Figuren stammen aus 1952, und es war eines der ersten Bühnenbilder von Günther Schneider-Siemssen. Die Aufnahme von Fricsay ist eine bis heute nahezu unübertroffene Aufnahme. Dazu kommt, dass sich die Stimmen der damaligen Charaktersänger sehr voneinander abheben. Das und der Umstand, dass sie mehr in den Vordergrund gemischt wurden als das heute üblich ist, macht es für das Publikum leichter, die unterschiedlichen Charaktere zu erkennen. Auch für den aktuellen Fidelio haben wir eine alte Aufnahme von Fricsay gewählt.

Philippe Brunner, künstlerischer Leiter des Marionettentheaters.

PROGRAMM-Highlights

  • Die Zuberflöte
  • Der Nussknacker
  • Der kleine Prinz
  • die Fledermaus
  • Púnkitititi!

Das ganze Programm finden Sie unter:

www.marionetten.at/programm

TEXT: MARKUS DEISENBERGER/ FOTOS: ANDREAS KOLARIK, GEORGEYE