SENNSATION

»Senns Restaurant» bietet leichte, innovative Küche im besonderen Ambiente des Salzburger Gusswerks. Der jüngst verliehene zweite Michelin-Stern bestätigt den eingeschlagenen Kurs eindrucksvoll.
Zwei Mal schon war das Vision-Salzburg-Team bei Sternekoch Andreas Senn zu Gast. Und beide Male verließen wir das Restaurant mit leuchtenden Augen. Die Gründe dafür sind schnell erklärt: Senns Küche ist leicht, progressiv und gespickt mit vielen Überraschungsmomenten. Und auch heute zeigt schon der Eröffnungsgang, wie fein die Klinge sein kann, die der Ausnahmekoch im Gusswerk schwingt: Eine Bachforelle aus dem Salzburger Bluntautal wurde leicht angeräuchert und danach behutsam konfiert, d.h. bei nur 50 Grad in Olivenöl gegart. Innen bleibt sie so schön glasig, weiß der »Chef«. Dazu gibt es marinierte Melonen, Gurken, einen Tonic-Espuma (spanisch für »Schaum«) gerösteten Wacholder und einen Gurken-Dashi-Fond. Über die fertige Komposition wird noch etwas Forellenkaviar geträufelt. Fertig ist eine sommerliche Vorspeise.
Für den zweiten Gang interpretiert Senn einen Klassiker der italienischen Küche völlig neu: Saltimbocca. Im römischen Dialekt heißt »Salt‘ im bocca« so viel wie »Spring in den Mund!«. Normalerweise versteht man darunter kleine, hauchdünn geschnittene und mit Rohschinken und Salbei gespickte Kalbsschnitzel. In Senns Version werden die im Klassiker enthaltenen Komponenten nun in anderen Konsis-tenzen und Erscheinungsformen präsentiert. Man könnte es auch einen »umgebauten« Saltimbocca nennen.
Schmelzendes Eis, staunende Augen
In eine mit Stickstoff-geeiste Salbeikugel werden feines Tartar vom Milchkalb aus dem Salzkammergut und ein Wachtelei gefüllt. Dazu gibt es Tomaten in verschiedenen Konsistenzen: Getrocknet, roh und geschmort. Und auch die beiden weiteren Komponenten, die die Spezialität ausmachen, Parmesan und Schinken nämlich, werden gänzlich anders präsentiert: Der Schinken in Pulverform, der Parmesan als wohlschmeckendes Gel. Über die Kugel wird sodann ein heißer Schinkenfond gegossen, was zur Folge hat, dass die geeiste Kugel vor den staunenden Augen des Gastes langsam dahinschmilzt und das Innere – Ei und Tartar – freigelegt werden. Die Kombination aus Hitze und Kälte sorgt dabei im Mund für eine wahre Geschmacksexplosion. Genau deshalb sollte man sich auch, beeindruckt vom gebotenen Schauspiel des Schmelzvorganges, mit dem Verzehr nicht allzu lange Zeit lassen.
Als erste Hauptspeise präsentiert Senn danach einen Carabinero, eine spanische Wildfang-Garnele also, die mit frischem Marchfelder Spargel, Erbsen-Flan, Erbsenpüree und – besonders raffiniert – frischen, in Yuzu marinierten Erbsen gereicht wird. Die getrocknete Physalis bietet dazu einen wohltuenden, leicht süßlichen Kontrast. Wenn man die Kapstachelbeere (so heißt sie auf Deutsch) dehydriert und dann wieder hydriert, gewinnt sie an Intensität, lassen wir uns erklären. Und hier zeigt sich im Kleinen, was die unterschiedlichen Behandlungsmethoden – ob es nun das Eisen mit Stickstoff oder das Hydrieren ist – ausmachen:
Keine Technik wird um ihrer selbst willen ins Spiel gebracht, alles verfolgt einen einzigen Zweck: Die Intensivierung des Geschmacks. Beim Krustentierfond bzw. seiner Zubereitung ohne jeder Butter oder Sahne, zeigt sich eine weitere Eigenheit: Es geht um die pure Essenz des Geschmackes. Die Verfälschung durch jede Form von unnötigem Fett wird tunlichst vermieden.
Secreto vom Iberico
Der zweite Hauptgang: Ein Secreto vom iberischen Schwein. Secreto wird das Stück deshalb genannt, weil es das »geheime« Filet des iberischen Schweines ist, ein grobfaseriger, fächerförmiger Muskel, der sich zwischen Rücken und Rü-ckenspeck versteckt und im Rohzustand beinahe wie Wagyu Beef aussieht, so schön marmoriert ist er. Achtundzwanzig Stunden wurde es niedrig gegart, bevor es auf den Holzkohlengrill gelegt wurde, um ihm zarte Röstaromen zu verleihen. Dazu gibt es Maispüree, Mais-Flan, in Lauge gegarte Zwiebel, Maniok, einen Paprika-Drop, eine Emulsion von dunklem Guinness-Bier und Röstzwiebel-Fond.
Der abgeflämmte Mais sieht ein wenig aus, als habe er auf einem Holzkohlengrill gelegen, die kleinen Maniok-Stücke sehen aus wie Holzkohle. Und genau das ist beabsichtigt: Das Iberico-Gericht ist eine spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema Barbecue. Bis ein Gericht wie dieses im Kopf reift, sei es ein langer Prozess, erzählt Senn. »Zwei bis drei Wochen mindestens«, so Senn. Und dann ist erst eine Idee vorhanden. Danach wird das Gericht erprobt, variiert, erweitert bis es so perfekt komponiert ist, dass es die Küche verlassen darf. Schließlich soll sich, wie beim Iberico-Gericht, der komplette Geschmacksbogen im Mund entfalten.
Auch der abschließende Nachtisch auf Erdbeerbasis gerät besonders leicht: Die Höhepunkte bilden eine falsche Erdbeere, deren Mantel aus Erdbeersaft gefertigt wurde und mit weißem Schokolade-Ganache gefüllt ist, und ein besonders gelungenes Rucola-Shiso-Eis. Dazu gibt es in Stangensellerie-Apfelfond eingelegten Stangensellerie, frische Erdbeeren, Erdbeer-Gel, Mandel-Shortbread, weißes Schokoladen-Malto und ein Rucola-Bisquit. Darüber streut Senn Holunderblüten und das Fruchtfleisch von Finger Limes, das sind jene fingerförmigen Limetten, deren Fruchtfleisch als extrem aromatisch gilt.
Bei all dieser Extravaganz nimmt es sich als pures Understatement aus, dass Senn unsere Frage, ob sich denn seit unserem letzten Besuch etwas verändert habe, zunächst verneint hat. Erst beim zweiten Anlauf erzählt er, dass dem Restaurant ein zweiter Stern verliehen wurde und sich das Team verdreifacht hat. »Für mich hat sich tatsächlich nichts verändert«, beharrt Senn. »Es gibt die gleiche Küche zum gleichen Preis.« Der zweite Stern sei zwar eine tolle Auszeichnung, darauf hingearbeitet habe man aber nicht.
Drei Hauben, zwei Sterne – viele Kollegen verspüren da enormen Druck, dem sie irgendwann auch erliegen. Nicht so der junge Tiroler: »Wir haben doch noch genug Zeit«, sagt er gewohnt lakonisch. Wir auch. Oder sagen wir so: Wir nehmen sie uns einfach. Für einen Digestif und das wohlige Gefühl, dieses Mal noch mehr überrascht worden zu sein als bei unseren vorangegangenen Besuchen.
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