Weiche Schale, harter Kern

Weiche Schale, harter Kern
Mehr als zwei Millionen Alben hat John Watts weltweit verkauft. Trotzdem gilt seine Band Fischer Z auch nach mehr als 40 Jahren im Geschäft immer noch als Geheim-Tipp. Dabei ist der Brite der lebende Beweis dafür, dass Pop und Politik einmal so intelligent waren, dass sie Hand in Hand gingen. Vision.Salzburg traf den Pop-Giganten anlässlich seines bevorstehenden Konzerts im Salzburger Rockhouse, um mit ihm über Boris Johnson, Nackt-Dating und die Magie von Wien zu plaudern.
Sie haben auf Ihren Alben immer reflektiert, was sich po-litisch gerade in der Welt tut. Wenn ich Sie jetzt nach dem Brexit frage, sind Sie aber sicher genervt, oder?
Nein, überhaupt nicht.
Was ist es, das Sie politisch zum aktuellen Album »Swim-ming in Thunderstorms« inspiriert hat?
Dass wir uns von den Idealen einer möglichst soliden Regie- rung und funktionierender sozialer Absicherung verabschie- det haben. Extremisten benutzen einfache Slogans, und die Linke schafft es nicht, sich zu organisieren. Songs wie »Stamp« oder »Stop Lying« handeln genau davon. Schauen Sie: Lügen war immer ein Spiel für Politiker, aber in den letzten Jahren wurde es zu einer Art stolzem Abzeichen.
Wie genau meinen Sie das?
Einer der Berater von Boris Johnson wurde gefragt, wie sich das für ihn anfühle, dass Boris Johnson den Brexit nur durch- kriegt, weil er Lügen erzählt. »Klar sind das Lügen«, antworte- te er. »Mein Job ist es ja auch nicht, die Wahrheit zu erzählen. Mein Job ist es, ein Produkt zu verkaufen. Und man erzählt eben Lügen, um etwas zu verkaufen. Nur das hab’ ich getan, und ihr habt das Produkt gekauft.« Zu lügen und es dann so unumwunden im Fernsehen zuzugeben – das wäre noch vor Jahren unmöglich gewesen. Ich dachte immer, in der Ge- schichte und Politik komme es letztlich auf Fakten und Wahr- heiten an. Das ist nicht mehr so, zumindest nicht im Moment.
»Building Bridges« lautete der Titel Ihres vorletzten Al-bums. Wie leicht oder schwer ist es in einer politischen Situation wie dieser, mit Musik Brücken zu bauen? Kom-men Sie durch mit Ihrer Message?
So lange die Mittelklasse denkt, es reicht aus, etwas gegen den Klimawandel zu tun, wenn sie online eine Petition un- terschreibt, ist das schwierig. Denn was soll das bewirken? Nichts. Andererseits hat jeder die Möglichkeit durchzudrin- gen. Ich bin oft gefragt worden, warum ich mich nicht noch stärker politisch involviere.
Und warum haben Sie es nicht getan?
Weil ich dann bei diesem Spiel mitmachen muss. Das will ich nicht. Musik ist meine Kunstform. Und die Idee von Kunst ist es, Menschen zu berühren, sie zum Lachen, Weinen und viel- leicht Nachdenken zu bringen. Ich spiele und rede. Apropos reden: Ich war in einem USA-amerikanischen TV-Sender mal in derselben Talk-Runde wie Jörg Haider.
Ihre Ansichten werden ihm nicht gefallen haben, nehme ich an?
Vermutlich nicht. Aber ich fand es schräg, dass Leute mit der-art reaktionären Ansichten überhaupt in eine solche Show geladen werden. Man sollte seinesgleichen nicht so viel Redezeit einräumen.
Die Jugend, sagen Sie immer wieder, wird heute in ih-rem Tun begrenzt wie selten zuvor. Warum wehrt sie sich nicht vehementer?
Weil es im westlichen Europa einfach nicht mehr genug ju- gendliche Wähler gibt, was mit der Bevölkerungsentwicklung zu tun hat. Ich wurde in den 1950ern geboren. Was für eine Zeit, um aufzuwachsen. Welch eine Leichtigkeit. Meine Kinder hatten es viel schwerer: Heute kann sich niemand mehr ein Haus leisten, geschweige denn ein zweites Kind. Alle müssen arbeiten, der Druck ist enorm und eine Jobsicherheit existiert praktisch nicht mehr. Dazu kommt, dass einer der Gründe für die Briten, aus der EU auszutreten, war, sich von all den arbeit- nehmerschutzrechtlichen Standards zu verabschieden, die die EU garantiert.
Scheint, als würde sich die Thatcher-Ära wiederholen.
Ein bisschen sieht es so aus, ja. Thatcher hat in England viel zerstört, andererseits war sie eine starke Persönlichkeit. Und ich glaube, dass sie, wenn überhaupt, nur die Hälfte der Leu- te wegen ihrer Ideologie gewählt hat. Das Problem in Eng- land ist: Johnson ist eine Comic-Figur, ein Clown, aber man kann über ihn sprechen. Jeremy Corbyn hingegen hat das Charisma einer Zahnbürste. Ich ging mit Leuten wie ihm auf die Universität: Die vertraten sozialistische Ansichten, trugen langweilige Klamotten, interessierten sich nicht für Fußball und gingen auf keine Partys mit verrückten Frauen. Was für ein langweiliges Leben. Aber wissen Sie, was das Absurdeste an der englischen Politik ist?
Nein?
Genau die Leute, die Johnson dorthin gesetzt haben, wo er heute sitzt, werden jene sein, die am meisten darunter leiden werden. Boris Johnson hat sich sozialistische Wäh- ler aus der Arbeiterklasse im Norden geborgt. Er hat ihnen Dinge versprochen, die er nicht halten wird, weil er sie nicht halten kann.
Ihr aktuelles Album klingt ein wenig leichter als sonst, aber nur scheinbar. An der Oberfläche…
Genau. Die Idee war es, eine Art trojanisches Pferd zu erschaf- fen, eine starke politische Idee in schöne Musik zu verpacken. Deshalb ist es weicher als das, was ich sonst so mache.
Die Themen aber sind ernst: »Heaven Injection« ist ein Lied über Sterbehilfe, kommt aber daher wie ein leichtfüßiger Fleetwood-Mac-Song.
Nächstes Jahr ist es 40 Jahre her, dass »Red Skies Over Paradise«, vielleicht das berühmteste aller Fischer-Z-Al-ben, erschien. Viele Bands gehen auf Tour und spielen ikonische Alben wie dieses in voller Länge. Würden Sie so etwas machen?
Ich spiele noch immer Songs der Platte live und ich liebe es. Das ganze Album zu spielen käme mir, obwohl ich es schon gefragt wurde, trotzdem seltsam vor. Aber neulich hatte ich auf einem Flug – vielleicht lag es am Sauerstoffmangel – eine Idee: Ich fragte mich, was aus den Figuren, die das Album damals bevölkerten, wohl geworden ist. Zu sehen, wie sich die Leute in den 40 Jahren entwickelt haben, fände ich inte- ressant.
Und? Wie haben Sie sich entwickelt?
Brian, das »Runaway Child« aus »You’ll never find Brian here«, ist heute mit der Leitung der Sozialfürsorge in London betraut. Marlies ist heute 73 Jahre alt und lebt in einem Altersheim. Sie ist nicht mehr ganz richtig im Kopf, aber immer noch schön. Vielleicht ist das der Kern des nächsten Albums. Mal sehen.
»Red Skies Over Paradise« war von der fast paranoiden Angst vor einer nuklearen Katastrophe geprägt. Denken Sie, wir haben einen Punkt erreicht, an dem Dinge wie diese wieder wahrscheinlich sind?
Ich denke sogar, dass es heute noch gefährlicher ist als da- mals. Damals ging es zwischen Supermächten, die wussten, was die Konsequenz einer nuklearen Auseinandersetzung wäre. Heute kannst du den nuklearen Sprengkopf eines rus- sischen Unterseebots secondhand von einem ukrainischen Händler in Malaysia kaufen. Die Instabilität ist größer gewor- den, als sie es in dieser von Ihnen als paranoid bezeichneten Zeit jemals war. Und wo wir gesellschaftlich stehen, zeigt uns »Naked Attraction« – eine Show, bei der Menschen, die ei- nander daten wollen, auf ihre Körperteile reduziert werden. Aber wissen Sie, auch auf »Red Skies« war nicht alles so ernst
gemeint. Ein Gutteil meiner Arbeit hat mit schwarzem Humor zu tun. In »Berlin« ging es nicht um die kalte Mauer, sondern um den Spirit, den es in Berlin immer gab. Satire, Kabarett. Es gibt übrigens nur einen einzigen Ort, an dem ich mich ähnlich zuhause fühle wie in Berlin.
Und zwar?
Wien.
Tatsächlich?
Ja, Wien hat eine seltsame Magie. Nehmen Sie das Café Zen- tral. Dort verkehrten zur gleichen Zeit Leute wie Schnitzler, Freud, Hitler und Trotzki. Wie unglaublich faszinierend.
Vielen Dank für das Gespräch.

Dass John Watts heute immer noch als Fischer-Z auftritt, obwohl er selbst die Band schon 1982 auflöste, hat einen einfachen Grund: »Ich erreiche so einfach mehr Leute.« Seine aktuelle Band sei so international und spielfreudig wie nie zuvor, sagt er. Zu hören ist »Fischer-Z« mit einer Mischung aus alten Hits und aktuellen Songs am 13.März 2021 im Rockhouse Salzburg.
TEXT: MARKUS DEISENBERGER, FOTOS: JOHN WATTS
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