Wenn der Schmerz tröstet

Element Of Crime habe es immer schon gegeben, behauptet die Schriftstellerin Eva Menasse. »Bevor sich die Band vor Jahrzehnten gegründet hat, hat man diese Musik wohl schon in sich drin gehört.« Genauso ist es. Und im September kommt diese ewige Band mit ihrer »unkopierbar guten Musik« (© Rolling Stone) für ein Gastspiel nach Salzburg.
Höchste Zeit, um mit Sven Regener, Sänger, Songschreiber und Autor, über das neue Album, seine Romane und seinen Faible für Österreich und die Österreicher zu plaudern.
Es muss 1988 gewesen sein. Foyer des Salzburger Stadtkinos. Eine Band mit dem verheißungsvollen Namen »Element of Crime«, die damals noch auf Englisch sang, betritt die Bühne. Im Publikum ein Sechzehnjähriger, der sich selten zuvor so cool, so erwachsen gefühlt hat. Ein magischer Abend war das, der mir bis heute in Erinnerung geblieben ist, wegen seiner einzigartigen Stimmung und natürlich, weil ich einen Abend lang dazugehört habe, zu den Coolen der Stadt. Haben Sie noch eine Erinnerung an diesen für mich magischen Abend?
Ich erinnere mich. Wir hatten einen Fotografen dabei, der die Tour dokumentieren sollte, weil wir ein Live-Album aufnahmen, und der hatte einen kleinen Hund, der kam auf die Bühne, als wir gerade »A Ship Is Passing« spielten. Er lief hin und her und suchte seinen Besitzer. Ich kriegte einen Lachkrampf und konnte das Lied kaum zu Ende bringen. Ich glaube, dass ich mich an die Tourneen in den 80er Jahren besser erinnere als an die Tourneen in späteren Jahrzehnten, weil für mich damals alles noch superneu und superaufregend und deshalb schwer beeindruckend war.
Die Leistung, die Musik an so einem Abend vollbringen kann, der gelungene Transfer von Coolness, Haltung und Lebensart durch gemeinsamen Kunstgenuss. Denken Sie, das ist heute schwieriger als damals in den 1980ern? Ist das Identifikations-Potenzial von Musik ungebrochen oder hat sich da etwas verändert?
Ich glaube, da hat sich grundsätzlich nichts verändert. Aber wir haben uns verändert. Und viele unserer Hörer, so sie denn älter geworden sind, natürlich auch. Es wäre auch komisch, wenn nicht. Ich kann nur für mich sprechen, wenn ich sage, dass zwar das ganze Drumherum von Tourneen und Konzerten – sei es für mich als Musiker, sei es für mich als Konzertbesucher – heute anders ist, dass aber die Wirkung der Musik selbst noch genauso stark ist wie immer.
Bleiben wir noch einen Moment in den 1980ern. Mit »Herr Lehmann« gelang Ihnen ein Welterfolg, der in genau dieser Zeit spielt. Aber auch viele Ihrer anderen Bücher, zuletzt »Wiener Straße« und »Glitterschnitter« spielen in den 1980ern. Wieso kehren Sie immer wieder in diese Zeit zurück, die frühen 1980er in Westberlin? Was war aus ihrer Sicht so speziell an dieser (Achtung Klappentext!) »seltsamen Zeit in einer seltsamen Stadt«?
Das war wirklich eine sehr seltsame Stadt, dieses Westberlin, das muss man, glaube ich, nicht näher erklären. Es macht Spaß, davon zu erzählen. Aber der eigentliche Grund ist, dass ich gerne Romane mit Protagonisten in ebendiesem Alter schreibe, über Leute zwischen 20 und 30, ein Alter, in dem so vieles noch offen ist, wo die Leute darum kämpfen, einen Weg in ihr Leben und in die Gesellschaft zu finden. Wo so viele Hoffnungen und so viele Träume existieren, zugleich aber auch so viele Verletzungen, Demütigungen, Niederlagen kassiert werden. Ich lasse meine Romane also gerne in einer Zeit spielen, in der ich selber in diesem Alter war, dann kenne ich mich besser aus!
Die ersten fünf EoC-Alben sangen Sie auf Englisch. Dann kam mit »Damals hinterm Mond« das erste Album ganz auf Deutsch. Was gab damals den Anlass zu dieser Kursänderung?
Ich hatte das Gefühl, mit den englischsprachigen Songs nicht mehr weiterzukommen. Und ich sang ja vor allem deshalb auf Englisch, weil wir dachten, auf Deutsch könne man solche Songs, wie wir sie wollten, nicht schreiben, weil der Sound der Sprache nicht passen würde. Sobald wir merkten, dass das nicht stimmte, gab es kein Halten mehr.
Es gibt diesen Moment beim Schreiben, wenn sich alles wie von selbst ergibt, nennen wir es »Mojo«. Verfügen Sie über dieses Schreib-Mojo immer im gleichen Ausmaß oder müssen Sie etwas dafür tun, es »streicheln«? Wenn ja, wie?
Beim Songschreiben geht es bei mir immer um Musik, auch beim Text. Und Musik kommt irgendwie von selber.
Man kann, denke ich, die Bedeutung von EoC, was den unverkrampften Umgang mit der deutschen Sprache in der Musik anbelangt, gar nicht hoch genug einschätzen. Gibt es Junge MusikerInnen, die deshalb auf Sie zukommen, den Austausch suchen?
Vielleicht, aber niemand sagt das so explizit und deshalb würde ich das auch niemandem unterstellen wollen. Die sind eigentlich alle immer sehr nett zu uns, aber das sind Musiker untereinander fast immer und das ist auch richtig so.
Auf dem letzten, tollen Album »Morgens um vier« zitieren Sie in »Liebe ist nur ein Wort« den gleichnamigen Roman von Johannes Mario Simmel. Und auch in »Glitterschnitter« wird Simmel mit »Niemand ist eine Insel« zitiert. Warum diese Simmel-Häufung? Ehrliche Begeisterung?
Ja klar. Simmel hat auf manische Weise ein gewaltiges Werk geschaffen, das ist schon toll und auch sehr speziell. Man könnte auch einen auf kritische Distanz oder Ironie machen, aber das wäre albern. Wahrscheinlich ist auch Sentimentalität im Spiel, ich habe das ja alles als Jugendlicher gelesen, in den 70er Jahren, als Simmel ganz oben war und er genau in die Zeit und ihre Konflikte hineinpasste.
In »Wiener Straße« und »Glitterschnitter « geht es u.a. um ein Österreichisches Künstlerkollektiv, das die Wiener Melange und das anarchistische Element von Kunst gleichermaßen hochhält. Sie scheinen einen Faible für uns Ösis zu haben. Weshalb?
In Österreich, so mein Eindruck, liebt man die Kunst und lebt ganz eng mit ihr zusammen. Man liebt (und hasst) auch die Künstler. In Deutschland ist das anders. Die Deutschen sind doch eher ein Volk von Ingenieuren und wollen immer von der Kunst wissen, wofür sie »eigentlich« gut sei, was sie zu bedeuten habe und so weiter und so fort. Man fordert von der Kunst Bildung, Aufklärung, Erziehung, moralische Aufrüstung, politische Agitation, – alles Dinge, die anderswo viel besser bedient werden können! – und dann wundert man sich, warum das Leben so langweilig ist!
Gibt es auch etwas, das sie überhaupt nicht leiden können an uns Österreichern bzw. der österreichischen Lebensart?
Wenn es so wäre, würde ich es nicht sagen. Das gehört sich nicht. Da bin ich ganz Deutscher. Österreich beschimpfen dürfen nur Österreicher.
Vor einem knappen Jahr ist euer langjähriges Bandmitglied David Young gestorben. Seine Rolle ging weit über die eines Bassisten hinaus. Habt ihr damals übers Aufhören nachgedacht?
David Young war mein bester Freund. Und er fehlt mir sehr. Aber das ist natürlich kein Grund, mit dem Musikmachen aufzuhören!
Ist das Stück »Dann kommst du wieder « als Abschieds-Song bzw. als Hommage an den alten Freund gedacht oder ist das albern, dass ich den Song so verstanden habe?
Nein, das ist nicht albern, man kann den Song auch so verstehen. Aber man muss nicht.
Warum haben Sie sich als Junge die Trompete ausgesucht? Es gab damals sicher »logischere« Instrumente. Um Frauen zu beeindrucken wären Gitarre oder das Saxophon wohl naheliegender gewesen.
Gitarre konnte ich schon, als ich mit Trompete anfing. Ich habe Musik auch nicht in erster Linie gemacht, um Frauen zu beeindrucken. An der Trompete gefielen mir immer der Sound und die Lautstärke, das Unmittelbare auch. Es gibt eigentlich kein Instrument, das näher an der menschlichen Stimme ist.
»Man hat nur eine richtige Band in seinem Leben« haben Sie neulich mal gesagt. Trotzdem touren Sie auch mit dem Jazz-Trio durch die Landen. Wieso?
Das ist keine Band, das ist eher ein Projekt. Ich spiele gerne Trompete und ich liebe Jazzmusik.
Was ist es, das Sie am Jazz so lieben? Was macht ihn aus Ihrer Sicht besonders?
Das Besondere am Jazz ist neben seinem musikalischen Wesen vor allem das Element der Improvisation. Wir haben es mit Regener Pappik Busch besonders mit Klassikern des modernen Jazz’ aus den 40er- bis 60er-Jahren zu tun und können uns durch die Improvisationen auf unsere Weise damit auseinandersetzen. Wir treten gewissermaßen in Kontakt mit einer anderen Welt und können darin kommunizieren.
In Ihrem aktuellen Buch »Glitterschnitter « geht es um die Zeit, von der sie vorhin gesprochen haben. Alles scheint möglich. Die Grenzen zwischen Konzert, Performance und Ausstellung verschwimmen. Es herrscht ein spielerischer Umgang mit Kunst. Wie ernst soll man sich und die eigene Kunst nehmen?
Man kann sich und seine Kunst so ernst nehmen, wie man will, die Sache hat trotzdem auch immer ihre komische Seite. Wie bei Macbeth oder Kafka.
Hat Melancholie etwas Tröstliches für Sie?
Nein. Melancholie ist immer schmerzhaft. Aber die Kunst tröstet, gerade auch die melancholische.
Vielen Dank für das Gespräch!

Sven Regener (*1961 in Bremen) ist ein deutscher Musiker, Schriftsteller und Drehbuchautor. Bekannt geworden ist er zunächst durch die Band Element of Crime, später mit seinem Roman »Herr Lehmann«und dem Drehbuch zum gleichnamigen Film sowie mit den weiteren Romanen der »Lehmann- Serie«, »Neue Vahr Süd«, »Der kleine Bruder«, »Magical Mystery«, »Wiener Straße« und »Glitterschnitter «. Seine Lieblings-Jazz-Alben sind »Another Side of John Coltrane« und »Clifford Brown And Max Roach«.
Element of Crime spielen Sonntag, 24. September 2023 um 19.00 Uhr in der SZENE Salzburg
TEXT MARKUS DEISENBERGER
FOTOS CARLOTTE GOLTERMANN
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